Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 142
I.d.R. wird die Rotlichtzeit durch eine sog. Rotlichtüberwachungskamera festgestellt (zu den Messverfahren § 1 Rdn 1576 ff.; Burhoff/Groß/Pichler, OWi, Rn 3426 ff.). Fraglich ist, ob und welche Toleranzwerte dann zu berücksichtigen/abzuziehen sind. (zur Höhe des Toleranzabzugs bei Zeitmessung per Stoppuhr nach Inkrafttreten des MessEG sowie der MessEV BayObLG, Beschl. v. 19.8.2019 – StraFo 2020, 25 = zfs 2020, 173 = NZV 2020, 378 m.w.N.; KG, VRS 133, 141 = VA 2018, 159). In der obergerichtlichen Rechtsprechung war das bislang nicht entschieden. Deshalb hatte nun vor einiger Zeit das OLG Braunschweig (OLG Braunschweig, NJW 2007, 391 = VA 2006, 196) einen von ihm zu entscheidenden Fall zum Anlass genommen, von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt Braunschweig und Berlin (PTB), die für die Zulassung aller in Deutschland zur Eichung zugelassenen Rotlichtüberwachungsanlagen und kombinierten Rotlicht- und Geschwindigkeitsüberwachungsanlagen zuständig ist, entsprechende Auskünfte einzuholen.
Hinweis
Die Frage des "richtigen" Toleranzwertes kann für den Betroffenen von entscheidender Bedeutung hinsichtlich eines Rotlichtverstoßes nach Nr. 132.3 BKat – "länger als eine Sekunde Rotlichtzeit" – sein. Denn ein überhaupt bzw. höher zu berücksichtigender Toleranzwert kann dazu führen, dass von weniger als eine Sekunde Rotlichtzeit auszugehen und deshalb schon auf der Tatbestandsebene das Vorliegen der Nr. 132.3 BKat zu verneinen ist (aus neuerer Zeit BayObLG, Beschl. v. 19.8.2019 – StraFo 2020, 25 = VA 2020, 30 = zfs 2020, 273 = NZV 2020, 378 m.w.N.).
Rz. 143
Die Anfrage bei der PTB hat zu folgenden Ergebnissen geführt (dazu auch OLG Hamm, VRR 2007, 316):
1. |
Alle spätestens seit Januar 2004 von der PTB zugelassenen Rotlichtüberwachungsanlagen müssen die dem Betroffenen vorwerfbare Rotlichtzeit automatisch ermitteln, ohne dass vom angezeigten Messwert Toleranzen zu subtrahieren sind. Dies gilt für folgende Anlagen (Stand: 24.4.2006; auch § 1 Rdn 1576 ff.):
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MULTANOVA |
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MultaStar RLÜ, |
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MULTANOVA MultaStar-Kombi, |
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MULTANOVA MultaStar C (Zulassungsinhaber jeweils: ROBOT Visual Systems GmbH), |
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TC RG-1 (Gatsometer BV), |
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DiVAR (TRAFCOM COMMERCIAL ENTERPRISES INC). |
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2. |
Bei allen anderen (früher zugelassenen) Geräten ist diejenige Fahrzeit von der angezeigten Rotzeit zu subtrahieren, die das gemessene Fahrzeug vom Überfahren der Haltelinie bis zu der Position benötigte, die auf dem (ersten) Messfoto abgebildet ist (mit Möglichkeiten zur Berechnung der zu subtrahierenden Fahrzeit). |
3. |
Nur bei den nachfolgenden drei Geräten ist zusätzlich zu dem unter Nr. 2. beschriebenen Abzug noch eine weitere – gerätespezifische – Toleranz von 0,2 sec. zu berücksichtigen:
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TRAFFIPAX TraffiPhot II (ROBOT Visual Systems GmbH), |
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Rotlicht-Überwachungsanlage von TRUVELO Deutschland, |
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MULTAFOT (Multanova AG). |
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Rz. 144
Von Bedeutung für den Betroffenen kann schließlich auch noch sein, ob ein in eine automatische Überwachungsanlage eingebautes Uhrwerk noch gültig geeicht ist bzw. war (dazu § 1 Rdn 1576 ff.; zum Eicherfordernis OLG Köln NZV 1993, 161). Fehlt die Eichung oder ist sie nicht mehr gültig, führt das zwar nicht zwangsläufig zur Unverwertbarkeit der Messung der Rotlichtzeit. Nach herrschender Meinung ist eine solche Messung jedoch nur unter Zugrundelegung höherer Sicherheitsabzüge verwertbar, deren Höhe dann regelmäßig ein Sachverständiger bestimmen muss (OLG Hamm, NZV 1993, 361 m.w.N.). Ein höherer Sicherheitsabschlag kann aber dazu führen, dass die für Nr. 132.3 BKat erforderliche 1 sec. Rotlichtzeit nicht mehr erreicht wird und damit die Möglichkeit, ein Fahrverbot anzuordnen, entfällt.
Hinweis
In diesen Fällen muss zudem im Urteil das Messverfahren und der zu berücksichtigende Toleranzwert mitgeteilt werden (OLG Düsseldorf, DAR 2003, 86).