(1) Allgemeines

 

Rz. 273

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist von größerer praktischer Bedeutung als die zur Fortbildung des Rechts. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung wird die Rechtsbeschwerde zugelassen, wenn sonst schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen würden. Dabei kommt es darauf an, welche Bedeutung die angefochtene Entscheidung für die Rechtsprechung im Ganzen hat. Bei einer Fehlentscheidung, die sich nur im Einzelfall auswirkt, ist – nach der Rechtsprechung – die Einheitlichkeit der Rechtsprechung noch nicht gefährdet, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist (vgl. u.a. OLG Hamm, NJW 1990, 2369; OLG Koblenz, NJW 1990, 2398; Göhler/Seitz/Bauer, § 80 Rn 5 m.w.N.; Burhoff/Kotz/Junker, RM, Teil A Rn 1258 ff.; Burhoff/Junker, OWi, Rn 3245 ff.). Hinzukommen muss, dass die Fehlentscheidung in einer grundsätzlichen Frage getroffen ist, dass sie schwer erträgliche Unterschiede in der Rechtsanwendung auslösen würde oder dass ohne die höchstrichterliche Entscheidung mit weiteren Fehlentscheidungen in gleich gelagerten Fällen gerechnet werden kann (OLG Düsseldorf, VRS 78, 140; OLG Koblenz, VRS 68, 227; zur sog. "Wiederholungsgefahr" KG, Beschl. v. 20.9.2018 – 3 Ws (B) 234/18; OLG Hamm, VRS 74, 36; NJW 1970, 624).

 

Hinweis

Wird bewusst von einer höchstrichterlichen Entscheidung abgewichen, so ist i.d.R. ein Grund für die Zulassung gegeben. Dann tritt nämlich offen zutage, dass die Rechtsprechung uneinheitlich ist (OLG Düsseldorf, NStZ 1991, 395 = NZV 1991, 283). Bei unbewusster Abweichung hängt die Frage der Zulassung von der Bedeutung des möglichen Rechtsfehlers und dem Grad der Wiederholungsgefahr ab (BayObLG, VRS 82, 212). Ergibt sich der Rechtsfehler aus einem vom AG verwendeten Formular, so ist die Wiederholungsgefahr besonders groß (OLG Hamm, JMBl. NW 1980, 69).

 

Rz. 274

Bei Fehlern des materiellen Rechts gilt: Sie stellen wegen der großen Zahl der hier auftretenden Rechtsfragen und der dabei möglichen Auslegungsbreite nicht so häufig die Einheitlichkeit der Rechtsprechung infrage. Allerdings muss hier insb. auch berücksichtigt werden, ob die Entscheidung im Ergebnis zu krassen Unterschieden führen würde (OLG Düsseldorf, NStZ 1991, 395 = NZV 1991, 283).

 

Rz. 275

Bei Fehlern des Verfahrensrechts ist für die Zulassung der Rang der Norm, die fehlerhaft angewendet worden ist, entscheidend (Göhler/Seitz/Bauer, § 80 Rn 7). Sind elementare Verfahrensgrundsätze verletzt, so z.B. das Gebot des fairen Verfahrens, das Recht auf die Anwesenheit in der Hauptverhandlung oder das Recht auf Mitwirkung eines Verteidigers (vgl. BayObLG, DAR 1976, 166), so ist i.d.R. die Gefahr einer Wiederholung gegeben, weil die elementaren Verfahrensgrundsätze in jedem Verfahren zu beachten sind. Ob bewusst oder unbewusst dagegen verstoßen worden ist, ist hier nicht entscheidend (Göhler/Seitz/Bauer, § 80 Rn 8 m.w.N.)

 

Hinweis

Bei Vorliegen eines absoluten Rechtsbeschwerdegrundes i.S.v. § 338 StPO ist eine Abwägung vorzunehmen, ob wegen der Besonderheiten des Bußgeldverfahrens die Gesetzesverletzung von einem solchen Rang ist, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben ist. Das kann z.B. bei einem Verstoß gegen § 338 Nr. 1 StPO der Fall sein (vgl. OLG Köln, VRS 53, 276).

(2) Besondere Fälle

 

Rz. 276

Auf folgende besondere Fälle ist wegen der praktischen Bedeutung hinzuweisen:

 

Rz. 277

Fehlerhafte Behandlung eines Beweisantrages

Die fehlerhafte Behandlung eines Beweisantrages kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde erforderlich machen. Das ist der Fall, wenn der Amtsrichter Beweisanträge der Verteidigung in der Hauptverhandlung ohne (ausreichende) Angabe von Gründen ablehnt (auch OLG Jena, zfs 2012, 232 = VRS 122, 223; OLG Oldenburg, NZV 2012, 108 = NStZ-RR 2012, 182 = zfs 2012, 406). Das war bereits nach § 77 OWiG a.F. unzulässig (BayObLG, NStZ 1986, 467; zur Ablehnung eines Beweisantrages im OWi-Verfahren Rdn 249 ff.), die Neufassung des § 77 OWiG hat daran nichts geändert (OLG Köln, VRS 74, 210). Aus § 77 Abs. 3 OWiG ist abzuleiten, dass ein Beweisantrag, der in der Hauptverhandlung gestellt worden ist, stets nur durch begründeten Beschluss abgelehnt werden darf. Lediglich bei der Ablehnung eines Beweisantrages nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann die Begründung i.d.R. darauf beschränkt werden, dass die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich sei (OLG Köln, a.a.O.). Allerdings verlangen die Obergerichte dann aber eine nachprüfbare Begründung in den Urteilsgründen (vgl. OLG Hamm, DAR 2007, 217 = zfs 2006, 854 = VRS 111, 375 = VRR 2007, 30; vgl. noch Rdn 279).

 

Rz. 278

Unzulängliche oder fehlende Urteilsgründe

Häufig sind die Urteilsgründe der amtsgerichtlichen Entscheidung unzulänglich, gelegentlich fehlen sie auch ganz (zum Absehen von den Urteilsgründen Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 3804 ff.). Ist das Letztere der Fall, wird jedoch nicht allein deshalb die Rechtsbeschwerde zugelassen (vgl. die Nachw. bei Burhoff/Deutscher, OWi, Rn 3823). Vielmehr ist auch i...

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