Detlef Burhoff, Dr. Holger Niehaus
Rz. 252
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG kann der Beweisantrag – über die Regelung in § 244 Abs. 6 S. 2 u. 3 StPO hinaus (dazu Burhoff/Burhoff, HV, Rn 1136 ff.) – abgelehnt werden, wenn nach freier Würdigung des Beweismittels die zu beweisende Tatsache ohne verständigen Grund so spät vorgebracht wurde, dass die Beweiserhebung zur Aussetzung der Hauptverhandlung führen würde. Der Betroffene handelt dann ohne verständigen Grund, wenn ihm ein früheres Vorbringen möglich und zumutbar gewesen wäre, so besonders, weil dies weder für ihn noch für einen seiner Angehörigen nachteilig gewesen wäre (Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 20; Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 2542 ff.).
Rz. 253
Voraussetzung ist auch hier zunächst, dass bereits eine Beweisaufnahme durchgeführt wurde und das Gericht den Sachverhalt danach für geklärt hält. Auch darf nicht die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) der Ablehnung des Beweisantrages entgegenstehen (OLG Brandenburg, VA 2012, 158 = VRR 2012, 396; OLG Celle, NJW 2010, 3794 = NZV 2010, 634 = VRR 2010, 474 = VA 2011, 13; OLG Hamm, VRR 2010, 474 = VA 2010, 122). Begründet wird dieser besondere Ablehnungsaspekt i.Ü. damit, dass unter dem Gesichtspunkt der Prozessverschleppung dem Missbrauch prozessualer Rechte durch das bewusste Zurückhalten von Beweismitteln begegnet wird (BVerfG, NJW 1992, 2811 = DAR 1992, 297 = VRS 83, 84). Deshalb greift § 77 Abs. 2 Nr. 2 OWiG nur dann, wenn ein verständiger Grund für das Verhalten fehlt, also ein früheres Vorbringen möglich und zumutbar war. Als nachvollziehbarer Grund für die Verspätung wird z.B. anerkannt, wenn der Betroffene durch ein früheres Vorbringen seine Verteidigungsposition negativ beeinflusst (Burhoff/Niehaus, OWi, Rn 2545 ff.) oder einen Angehörigen der Gefahr einer Strafverfolgung ausgesetzt hätte. Auch muss der Betroffene nicht vorab schon alle möglichen Beweismittel benennen (OLG Jena, zfs 2004, 431; vgl. aber OLG Hamm, VRR 2010, 474 = VA 2010, 122). So kann der Beweisantrag erst als Reaktion auf die Aussage eines Zeugen gestellt werden, dessen Aussage mangels Aktenkundigkeit einer schriftlichen Schilderung des Verkehrsgeschehens nicht zuverlässig vorhergesehen werden konnte (OLG Jena, a.a.O.).
Hinweis
Der Beweisantrag ist besonders dann nicht verspätet, wenn sich erst in der Hauptverhandlung Umstände herausstellen, die Hinweis auf eine für den Betroffenen günstige Konstellation haben (vgl. BVerfG, NJW 1992, 2811 = DAR 1992, 297 = VRS 83, 84). Der Verteidiger sollte es sich allerdings zur Gewohnheit machen, Beweisanträge i.d.R. so früh wie möglich vor der Hauptverhandlung zu stellen, um von vornherein den Verspätungseinwand auszuschließen (OLG Hamm, VRR 2010, 474 = VA 2010, 122). Die Stellung eines Beweisantrages eine Woche vor dem Termin ist nicht als zu spät angesehen worden (OLG Düsseldorf, zfs 2004, 185). Dass die Beweiserhebung nur zur Vertagung führt, reicht zur Ablehnung des Beweisantrages nicht aus (allg. Meinung, s.u.a. Göhler/Seitz/Bauer, § 77 Rn 20 m.w.N.; BayObLG, Beschl. v. 11.6.2019 – 202 ObOWi 874/19, StraFo 2019, 474; KG, StraFo 2012, 22; OLG Hamm, NZV 2008, 160 = VRR 2008, 235 = VRS 114, 55 m.w.N.; VA 2010, 122; OLG Hamm, DAR 2015, 275 m. Anm. Fromm).