Rz. 22
Ist die Ehe nicht geschieden, aber ein Scheidungsverfahren anhängig bzw. eine rechtskräftige Trennung der Eheleute von Tisch und Bett ausgesprochen worden, ergeben sich unverständliche Folgen (teleologische Widersprüche), wenn Scheidungsstatut und Erbstatut unterschiedlichen Rechtsordnungen angehören und nicht zusammenpassen:
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So bleibt nach deutschem Erbrecht das gegenseitige Erbrecht von Eheleuten, die nach dem für ihre Ehe geltenden ausländischen Recht wirksam von Tisch und Bett getrennt worden sind, auch dann weiter bestehen, wenn nach dem für die Ehewirkungen geltenden Recht das Ehegattenerbrecht mit der Trennung entfällt (wie dies z.B. gem. Art. 935 ZGB im polnischen Recht der Fall ist). |
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Auch machen manche Rechtsordnungen das gegenseitige gesetzliche Erbrecht der Ehegatten davon abhängig, dass diese tatsächlich noch in ehelicher Gemeinschaft zusammenleben, wie z.B. das slowenische Recht und das ungarische Recht. |
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Gemäß § 759 Abs. 1 öst. ABGB in der bis zum 1.1.2017 geltenden Fassung entfiel das gesetzliche Erbrecht des geschiedenen Ehegatten nur dann, wenn er aus seinem Verschulden geschieden worden ist. Lebten aber die Eheleute zuletzt in Deutschland und sind sie daher gem. Art. 8 lit. a Rom III-VO nach deutschem Recht zu scheiden, so kann hiernach kein Verschulden festgestellt werden. |
Rz. 23
Diese Umstände führen dazu, dass – wie z.B. im zuletzt genannten Fall – die Anwendung der entsprechenden Bestimmungen des ausländischen Rechts nicht gelingt. Die Literatur möchte im Wege der Substitution den scheidungsrechtlichen Tatbestand unter die entsprechend flexibel ausgelegten Bestimmungen des Erbstatuts subsumieren. So wäre im zuletzt genannten Beispiel trotz Geltung deutschen Ehewirkungs- und Scheidungsstatuts allein aufgrund der Geltung österreichischen Rechts für die Erbfolge das Verschulden der Scheidung entsprechend dem österreichischen Recht zu ermitteln. Damit lassen sich bei der Geltung österreichischen Erb- und deutschen Scheidungsstatuts zwar die technischen Rechtsanwendungsprobleme lösen. Das Ergebnis wäre aber insoweit inkonsequent, als die Verletzung ehelicher Pflichten nach einem Recht sanktioniert wird, das auf die Ehe nicht anwendbar war. Darüber hinaus treten Asymmetrien in deutsch-österreichischen Ehen auf (siehe näher Rdn 25 ff.).
Rz. 24
Bei Eheleuten mit differierendem Erbstatut kann es zu Ungleichheiten kommen, die noch schwieriger zu beheben sind:
Beispiel
Ein deutsch-italienisches Ehepaar ließ sich in Deutschland auf gemeinsamen Antrag hin scheiden. Der italienische Ehemann kehrte zu seiner Familie nach Sizilien zurück und verstarb dort nach Ausspruch der Scheidung, aber noch vor Zustellung des Urteils. Da der Erblasser keine Abkömmlinge hinterließ, machte die Ehefrau gegen die Eltern und Geschwister nach italienischem Erbrecht eine Erbquote in Höhe von zwei Drittel (Art. 582 Codice Civile) geltend. Die Angehörigen wenden ein, es gelte § 1933 BGB, denn wenn die Ehefrau zuerst verstorben wäre, hätte der Ehemann nichts bekommen.
Rz. 25
Das Ehegattenerbrecht erlischt nach italienischem Recht erst mit vollständiger Auflösung der Ehe. Die der Scheidung vorausgehende Trennung von Tisch und Bett entzieht gem. Art. 585 Abs. 1 c.c. dem überlebenden Ehegatten allein dann das Erbrecht, wenn ihm die Schuld an der Trennung angelastet worden ist. Ob die Ehe durch die Scheidung bereits aufgelöst ist, ist Vorfrage und ergibt sich nach den Regelungen der Rom III-VO aus dem deutschen Recht. Danach ist mangels Zustellung des Scheidungsurteils gem. § 1564 S. 2 BGB, § 705 ZPO die Ehe vor Eintritt des Erbfalls nicht mehr beendet worden.
Rz. 26
Dieses Ergebnis ist ungerecht, denn allein aufgrund der Kombination deutschen und italienischen Erbrechts kann von der Beantragung der Scheidung an bis zu ihrer Rechtskraft wohl die deutsche Ehefrau ihren italienischen Ehemann beerben, wegen § 1933 BGB nicht aber der italienische Ehemann seine deutsche Ehefrau. Dies ergibt m.E. einen teleologischen Widerspruch. Zwar wird es allgemein hingenommen, dass aufgrund unterschiedlicher Staatsangehörigkeit der Beteiligten z.B. nur einseitig ein Pflichtteilsrecht zwischen Geschwistern besteht oder sich die Ehegatten wechselseitig zu unterschiedlichen Quoten beerben. In der vorliegenden Konstellation ergeben sich die Gegensätze aber nicht aus dem unterschiedlichen Inhalt des jeweiligen Heimatrechts als Erbstatut, sondern erst aus der Kombination italienischen Erbrechts mit deutschem Scheidungsrecht, also daraus, dass das italienische Recht sehr wohl eine Beendigung des Erbrechts vor rechtskräftiger Scheidung kennt, der Ehemann aber aufgrund der Geltung deutschen Scheidungsstatuts keine Möglichkeit hatte, eine Trennung von Tisch und Bett zu beantragen, bei der der Ehefrau die Trennung angelastet wird.
Rz. 27
Zur Auflösung des Widerspruchs könnte man daran denken – wie es von den Angehörigen im Beispiel vorgeschlagen wurde –, der Ehefrau das Erbrecht zu versagen, wenn der Ehemann seinerseit...