Rz. 129
In vielen Rechtsordnungen wird den Pflichtteilsberechtigten kein Geldanspruch gegen den Nachlass, sondern eine unmittelbare Beteiligung am Nachlass in Höhe einer garantierten Mindestquote (réserve) vorbehalten (Noterbrecht). In den meisten dieser Rechte setzt sich diese Mindestbeteiligung aber nicht ipso iure gegen eine entgegenstehende testamentarische Verfügung durch (so aber z.B. in Griechenland). Der Pflichtteilsberechtigte muss sie vielmehr zunächst gegen die testamentarischen Erben, die Vermächtnisnehmer und ggf. auch Begünstigte aus lebzeitigen Schenkungen durch Klage gerichtlich oder ggf. auf andere Weise geltend machen. Auf diese Herabsetzungsklage hin setzt das Gericht mittels Gestaltungsurteils die Erbquoten (ggf. die testamentarischen Vermächtnisanordnungen und erforderlichenfalls auch die lebzeitigen Schenkungen) so fest, dass die Noterbquote des Klägers am Nachlass wiederhergestellt wird. Ist eine Erbeinsetzung Gegenstand der Herabsetzungsklage, wird durch die Klage der Berechtigte zusammen mit den testamentarischen Erben (nachträglich und rückwirkend) Miterbe. Hier spielt sich die Änderung auf der Ebene der Zuordnung des gesamten Nachlasses (Vermögensstatut) ab, eine Kollision mit dem Sachenstatut (Einzelstatut) ergibt sich somit nicht. Mit Rechtskraft des Urteils als Gestaltungsurteil wird der Pflichtteilsberechtigte also Miterbe und damit auch dinglich am Nachlass beteiligt. Das Urteil ist nach den Regeln der EuErbVO bzw. des § 328 ZPO im Inland ohne Anerkennungsverfahren wirksam. Im Grundbuch kann daher eine entsprechende Berichtigung erfolgen.
Rz. 130
Anders ist die Situation, wenn der testamentarische Erbe Alleinerbe war, so dass der Nachlass bereits mit seinem eigenen Vermögen verschmolzen ist. Hier würde die Gestaltungswirkung des Herabsetzungsurteils nach dem Erbstatut dazu führen, dass nicht nur die Höhe seiner Beteiligung an der Erbengemeinschaft geändert und die des Noterben erhöht oder ggf. neu begründet wird, sondern die Zuordnung des Vermögens in das Eigenvermögen des testamentarischen Alleinerben insgesamt rückgängig gemacht wird, also die entsprechenden Vermögensgegenstände aus dem Vermögen des Alleinerben in eine nachträglich begründete Erbengemeinschaft "zurückwandern". Diese wäre m.E. mit dem deutschen Sachenrecht nicht vereinbar. Ein entsprechendes, in einem anderen Mitgliedstaat der EU ergangenes Pflichtteilsurteil wäre allerdings aus deutscher Sicht gem. Art. 39 Abs. 1 EuErbVO anzuerkennen. Möglicherweise könnte man hier über Art. 1 Abs. 2 lit. k, Art. 31 EuErbVO die Wirkungen dahingehend umdeuten, dass die unmittelbar dinglichen Wirkungen der Entscheidungen mit Rechtskraft des Urteils ex nunc eintreten (auch wenn das Erbstatut die Wirkung ex tunc vorsieht) und im Übrigen die testamentarischen Erben verpflichtet sind, den Pflichtteilsberechtigen für die Zwischenzeit so zu stellen, also ob er von Anfang an Miterbe gewesen sei. Wahrscheinlich würde auch diese Modifikation der erbrechtlichen Wirkungen mit den Grundsätzen der Kubicka-Entscheidung des EUGH kollidieren.
Rz. 131
Gleiches ergibt sich, wenn Vermächtnisse oder lebzeitige Schenkungen des Erblassers angefochten werden, die bereits erfüllt worden sind, oder wenn die testamentarischen Erben den Nachlass bereits auseinandergesetzt haben. Nach den einschlägigen Rechtsordnungen sind Verfügungen nicht abstrakt, sondern kausal, so dass die nachträgliche Vernichtung bzw. Reduzierung des testamentarischen Titels unmittelbar eine Änderung der dinglichen Zuordnung (mit Rückwirkung auf den Erbfall) zur Folge hat. Bei deutschem Einzelstatut unterliegenden Rechten hingegen bliebe aufgrund des sachenrechtlichen Abstraktionsprinzips die dingliche Zuordnung von der Änderung des erbrechtlichen Titels unberührt. Eine Änderung der dinglichen Zuordnung käme allenfalls dann in Betracht, wenn man die Gestaltungswirkung des Herabsetzungsurteils auch auf die Verfügung erstreckte. Dies wäre allerdings nicht mit dem sachenrechtlichen Abstraktionsprinzip vereinbar, das Verfügungen vor Mängeln des Grundgeschäfts schützt. Die Herabsetzung einer Schenkung bzw. eines bereits vollzogenen Vermächtnisses hat mithin bezüglich deutschem Sachen- bzw. Schuldstatut unterliegenden Rechten keine verfügende Wirkung. Vielmehr entstünde allein ein Übereignungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung (condictio ob causam finitam), der durch Übertragung zu erfüllen wäre.