Rz. 76

Für die vor dem 9.4.1983 geschlossenen Ehen installiert Art. 220 Abs. 3 S. 1 EGBGB eine komplizierte Übergangsregelung, die den Spagat zwischen einer verfassungskonformen Übergangsregelung unter der Wahrung des Vertrauensschutzes versucht. Die hierfür geschaffenen Übergangsregelungen für "Alt-Ehen" sind insbesondere im Internationalen Erbrecht von Bedeutung, da die meisten der nun verstorbenen Erblasser noch vor 1983 geheiratet haben.

 

Rz. 77

Gemäß Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EGBGB gilt vorrangig das gemeinsame Heimatrecht der Eheleute bei Eheschließung. Für die Zeit nach dem 8.4.1983 ergibt sich dies aus Art. 220 Abs. 3 S. 2, Art. 15 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB, einschließlich der Möglichkeit, gem. Art. 15 Abs. 2 EGBGB mit Wirkung ex nunc ein anderes Recht zu wählen.

 

Rz. 78

Hatten die Eheleute bei der Eheschließung unterschiedliche Staatsangehörigkeiten, gilt grundsätzlich bis zum 8.4.1983 das Heimatrecht des Ehemannes bei Eheschließung, Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EGBGB. Die Wirkungen dieser bedenklichen Anknüpfung werden in der Rechtsprechung aber weitgehend ausgehebelt. Ist die Scheidung oder die Auflösung der Ehe durch den Tod eines der Ehegatten (güterrechtsrelevanter Vorgang) nach dem 8.4.1983 eingetreten, gilt das gem. Art. 220 Abs. 3 S. 2, Art. 15 EGBGB n.F. gleichheitskonform bestimmte Güterstatut rückwirkend für die gesamte Dauer der Ehe. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anknüpfung ist dabei gem. Art. 220 Abs. 3 S. 3 EGBGB aber nicht die Eheschließung, sondern der 9.4.1983.[78]

 

Rz. 79

Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Ehemannes unterbleibt ferner, wenn die Eheleute bis zum 8.4.1983 gemeinsam von der Geltung eines bestimmten Rechts ausgegangen sind oder sich diesem gemeinsam "unterstellt" haben, Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB. Dieser Tatbestand wird von der Rechtsprechung weit ausgelegt, um die subsidiär zur Anwendung gelangende und verfassungsrechtlich bedenkliche Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit des Ehemannes möglichst weit zurückzudrängen.[79] Es bedürfe einer Gesamtbetrachtung, in die alle äußeren Umstände einzubeziehen sind, wie etwa gewöhnlicher Aufenthalt der Ehegatten, der Erwerb von Immobilien zur Schaffung eines Familienheims, Grundbucheintragungen und andere gemeinsame Erklärungen gegenüber Behörden oder Handlungen, die ohne Bezug zu einer bestimmten Güterrechtsordnung nicht denkbar wären. Es reiche, dass die Eheleute "wie selbstverständlich von der ihnen am nächsten liegenden Rechtsordnung ausgegangen sind".[80] Möglicher Fall sei hier der Erwerb eines Grundstücks unter Angabe eines bestimmten Güterstands oder der Abschluss eines Ehevertrages unter Zugrundelegung eines bestimmten Rechts. Als konkludent und formlos getroffene Rechtswahl wirkt diese Unterstellung unter ein bestimmtes Recht über den Stichtag des 8.4.1983 hinaus unter den Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 2 EGBGB fort.[81] Entgegen dem Wortlaut von Art. 220 Abs. 3 S. 2 EGBGB findet also in diesen Fällen keine rückwirkende Anknüpfung des Güterstatuts nach Art. 15 Abs. 1 EGBGB n.F. statt.

 

Rz. 80

Da die "Unterstellung" bzw. das "Ausgehen" konkludente Rechtswahl ist, bleiben gem. Art. 4 Abs. 2 EGBGB Rück- und Weiterverweisungen durch das ausländische Recht unbeachtlich.[82]

 

Rz. 81

Nach Ansicht des BVerfG greift die "Unterstellung" bzw. das "Ausgehen" allerdings dann nicht, wenn die Eheleute allein deshalb gemeinsam von der Geltung des Mannesrechts ausgegangen sind, weil sie sich auf Art. 15 EGBGB a.F. verließen und eine gleichheitskonforme Anknüpfung zu einem anderen Recht geführt hätte.[83] Hier sei das Vertrauen nicht schutzwürdig. Wie im Fall von Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EGBGB gelte dann Art. 15 EGBGB n.F. mit Rückwirkung unter Anknüpfung an die Umstände zum 9.4.1983.[84]

 

Rz. 82

 

Praxishinweis:

Die Anwendung von Art. 220 Abs. 3 EGBGB, insbesondere von Art. 220 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EGBGB, ist vor allem dann mit erheblichen Unsicherheiten verbunden, wenn ein Ehegatte bereits verstorben ist und nicht mehr bestätigen kann, von der Geltung welchen Rechts die Eheleute gemeinsam ausgegangen waren. Sicherheitshalber sollte schon zu Lebzeiten beider jede Gelegenheit (Abschluss eines Ehevertrages, Grundstückserwerb, gemeinschaftliches Testament oder Ehegattenerbvertrag) genutzt werden, insoweit eine Klarstellung herbeizuführen und eine ggf. konstitutive Rechtswahl gem. Art. 22 Abs. 1 EuGüVO zu treffen.[85]

[78] BGH NJW 1987, 584; BGH NJW 1988, 639; OLG Hamm FamRZ 1993, 115; Palandt/Thorn, 78. Aufl. 2019, Art. 15 EGBGB Rn 12; a.A. Rauscher, NJW 1987, 532; Schurig, IPRax 1988, 93.
[79] Z.B. BGH NJW 1987, 584 = DNotZ 1987, 296; BGHZ 119, 400.
[80] BGHZ 119, 400; BGH NJW 1988, 639; BGH FamRZ 1993, 292; OLG Köln FamRZ 1996, 1480; OLG Frankfurt FamRZ 1987, 1147; Palandt/Thorn, 78. Aufl. 2019, Art. 15 EGBGB Rn 9; krit. Schotten/Schmellenkamp, Internationales Privatrecht, Rn 184; Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, § 9 Rn 152.
[81] BGH FamRZ 1986, 1202; Lichtenberger, DNotZ 1987, 2...

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