Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 180
Eine weitere Substitutionsfrage im Zusammenhang mit § 15a InsO stellt sich dahingehend, ob der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit inländischem Interessenmittelpunkt seiner dann bestehenden Antragspflicht auch durch Stellung eines Antrags bei einem ausländischen Gericht, insbesondere desjenigen eines anderen europäischen Mitgliedstaates, genügt, oder ob er daneben einen Antrag bei einem inländischen Gericht stellen muss oder dies aus Gründen der Vorsorge zusätzlich kann. Die Frage ist eng mit der Frage der internationalen Eröffnungszuständigkeit im Konzernverbund verknüpft. Wie in diesem Zusammenhang bereits deutlich wurde, erfreute sich insbesondere die Antragstellung vor englischen Gerichten zunehmender Beliebtheit. Die Frage ist angesichts der Strafdrohung des § 15a Abs. 4, 5 InsO von besonderer Brisanz.
Rz. 181
Paradigmatisch ist der vom AG Köln entschiedene Fall. Die Schuldnerin war eine in Deutschland ansässige Gesellschaft eines Konzerns, dessen europäische Zentrale sich in England befand. Nach Stellung eines Eröffnungsantrags in England stellten die Geschäftsführer vorsorglich einen weiteren Insolvenzantrag vor dem AG Köln, um ihren Pflichten aus § 64 GmbHG a.F. nachzukommen. Das AG Köln rekurrierte u.a. auf das fehlende Rechtsschutzbedürfnis, da der Pflicht aus § 64 GmbHG a.F. bereits durch die Antragstellung in England genügt worden sei. Dessen Ziel, die Teilnahme insolventer Gesellschaften am Rechtsverkehr zu verhindern, werde infolge der Wirkungserstreckung in gleicher Weise durch einen Antrag vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates gefördert. Freilich dürften vergleichbare Konstellationen infolge der zunehmend eindeutigeren Absage an einen einheitlichen Konzerninsolvenzgerichtsstand (vgl. Rdn 118 ff.) in Zukunft noch seltener auftreten.
Rz. 182
Dem Wortlaut von § 15a Abs. 1 InsO lässt sich nicht entnehmen, an welches Gericht der Insolvenzantrag zu richten ist. Als prozessuale Erwirkungshandlung setzt er die Zulässigkeit und damit grundsätzlich auch die Zuständigkeit des Gerichts voraus, zumal es an einer Verweisungsmöglichkeit fehlt. Der Antrag muss daher grundsätzlich bei dem international und national zuständigen Gericht gestellt werden. Ob den Geschäftsführern dadurch allerdings ein vorsorglicher weiterer Antrag im Inland verwehrt ist, steht auf einem anderen Blatt.
Rz. 183
Den Geschäftsführern zu gestatten, neben der Antragstellung beim zuständigen ausländischen Gericht zusätzlich bei einem inländischen Gericht die Eröffnung zu beantragen, würde allerdings die Gefahr der Eröffnung durch ein international unzuständiges Gericht und damit einer Eröffnung des Hauptverfahrens in einem sachferneren Forum erhöhen. Da sich die Ermittlung des Interessenmittelpunktes für den organschaftlichen Vertreter aber schwierig gestalten und er damit schwer nachvollziehen kann, ob er mit der Stellung eines Insolvenzantrags im Ausland seiner Antragspflicht genügt hat, spricht vieles dafür, entweder einen inländischen Zweitantrag zu billigen oder aber im Rahmen von § 15a InsO auch die Stellung eines Antrags bei einem unzuständigen Gericht ausreichen zu lassen. Bei letzterer Lösung dürfte allerdings die Abgrenzung vom Fall der bewussten Stellung des Antrags beim unzuständigen Gericht, womit der Geschäftsführer seiner Pflicht nicht genügen soll, schwer fallen.
Rz. 184
Für die Zulässigkeit eines vorsorglichen Zweitantrags spricht ferner, dass zumindest theoretisch der Amtsermittlungsgrundsatz verhindert, dass der Geschäftsführer einer GmbH durch einen vorsorglichen Zweitantrag ein inländisches (Haupt-)Insolvenzverfahren einleiten kann.
Rz. 185
Jedenfalls aber kann einem Geschäftsführer, der bei einem ausländischen Gericht einen Eröffnungsantrag stellt, kein Verschuldensvorwurf i.S.v. § 15a Abs. 1 InsO, §§ 823 Abs. 2, 276 Abs. 2 BGB gemacht werden, sollte er damit entgegen seiner nachvollziehbaren Auffassung seiner Antragspflicht noch nicht genügt haben. Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens allerdings mangels Zuständigkeit des zunächst befassten Gerichts abgelehnt, so hat der Geschäftsführer ohne schuldhaftes Zögern einen erneuten Insolvenzantrag bei dem zuständigen Gericht zu stellen.