Florian Kienle, Pius Dolzer
Rz. 126
Internationale Kompetenzkonflikte sind Gegenstand der Regelungen des Art. 102 § 3 EGInsO, während die EuInsVO eine ausdrückliche Regelung nicht vorhält. Für positive Kompetenzkonflikte bestimmt Art. 102 § 3 Abs. 1 EGInsO, dass der bei einem inländischen Gericht gestellte Antrag auf Eröffnung eines Hauptverfahrens, wenn ein Gericht eines anderen Mitgliedstaates ein Hauptverfahren eröffnet hat, während der Anhängigkeit dieses Verfahrens unzulässig ist. Ein dennoch eröffnetes Verfahren darf gem. Satz 2 der Vorschrift nicht fortgesetzt werden. Es gilt damit das international-insolvenzrechtliche Prioritätsprinzip, das sich auch in Erwägungsgrund (65) der Verordnung zeigt und dort zudem aus der Exklusivität des Hauptverfahrens abgeleitet wird. Die zeitlich frühere Eröffnung eines Hauptverfahrens schließt die Eröffnung eines weiteren Hauptverfahrens aus, wobei für die Anwendung des Prioritätsprinzips der Zeitpunkt entscheidet, in dem der Beschluss über die Eröffnung des Verfahrens wirksam wird. Das Prioritätsprinzip gilt objektiv; auf die Kenntnis Dritter von der Verfahrenseröffnung kommt es nicht an. Zwar bleiben die Wirkungen eines prioritätswidrig eröffneten Hauptverfahrens gem. Art. 102 § 4 Abs. 2 EGInsO bestehen, auch wenn sie den Wirkungen des anderen Verfahrens widersprechen. Dies gilt aber dann nicht, wenn das zweite Insolvenzverfahren in Kenntnis des ersten Hauptverfahrens eröffnet wurde; die Eröffnung des zweiten Verfahrens ist dann schwebend unwirksam, der als "Scheinverwalter" zu qualifizierende Verwalter darf über die Masse nicht verfügen. Eine Vorwirkung der Anhängigkeit ist der EuInsVO fremd.
Rz. 127
Eine Art Wettlauf um die internationale Eröffnungszuständigkeit hat das AG Mönchengladbach für sich entschieden. Der Geschäftsführer einer GmbH hatte dort die Eröffnung eines Sekundärverfahrens beantragt, nachdem er bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem englischen Company Court beantragt hatte, welches das Verfahren aber noch nicht eröffnet hatte. Das AG Mönchengladbach eröffnete ein Hauptverfahren, weil von dem Antrag auf Eröffnung des Sekundärverfahrens auch die Eröffnung des Hauptverfahrens umfasst sei. Zutreffend hätte es den Antrag auf Eröffnung des Sekundärverfahrens mangels Antragsbefugnis des Gemeinschuldners ablehnen müssen (siehe Rdn 145).
Rz. 128
Im Hinblick auf negative Kompetenzkonflikte bestimmt Art. 102 § 3 Abs. 2 EGInsO, dass ein deutsches Gericht die Eröffnung nicht unter Berufung auf die Zuständigkeit der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates ablehnen darf, wenn ein Gericht dieses Mitgliedstaates die Eröffnung abgelehnt hat, weil es die deutschen Gerichte für zuständig erachtet hat.