Rz. 111
Zitat
BGB §§ 242, 422 Abs. 1 S. 1, 426, 430, 823 Abs. 1
1. Der durch einen Verkehrsunfall Geschädigte ist einem angehörigen Schädiger, mit dem er in häuslicher Gemeinschaft lebt, und dessen Haftpflichtversicherer gegenüber grundsätzlich auch insoweit aktivlegitimiert, als er Schadensersatzleistungen verlangt, die mit den ihm vom Sozialversicherungsträger zu erbringenden Sozialleistungen kongruent sind. Ein Verlust der Aktivlegitimation durch Übergang seiner diesbezüglichen Forderung auf den Sozialversicherungsträger gemäß § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist aufgrund des Familienprivilegs des § 116 Abs. 6 Satz 1 SGB X ausgeschlossen (Senatsurt. vom 28.11.2000, VI ZR 352/99, BGHZ 146, 108). Eine Übertragung des Regelungsinhalts des § 86 Abs. 3 VVG auf § 116 Abs. 6 SGB X im Wege der Auslegung oder Analogie scheidet aus.
2. Haftet aufgrund des Verkehrsunfalls neben dem angehörigen Schädiger ein Fremdschädiger für denselben kongruenten Schaden, so entstehen infolge der Regelungen des § 116 Abs. 1 und Abs. 6 SGB X verschiedene Schuldverhältnisse, auf die die Regelungen der §§ 422 Abs. 1 Satz 1, 426, 430 BGB entsprechend anwendbar sind.
3. In dieser besonderen Fallgestaltung ist der Anspruch des Geschädigten gegen den angehörigen Schädiger bzw. dessen Versicherer gemäß § 242 BGB auf das beschränkt, was er bei einem Erhalt der Leistungen von Seiten des angehörigen Schädigers analog § 430 BGB im Verhältnis zum Sozialversicherungsträger behalten dürfte.
4. Jedenfalls in Fällen, in denen die Verletzung eines durch § 823 Abs. 1 BGB oder § 7 Abs. 1 StVG geschützten Rechtsguts und darüber hinaus ein daraus resultierender Vermögensschaden bereits eingetreten sind, ist die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig.
a) Der Fall
Rz. 112
Die Klägerin nahm die Beklagte auf Ersatz von Verdienstausfall aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 26.6.2010 in Anspruch. An diesem Tag war die Klägerin als Beifahrerin ihres Ehemanns auf einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Motorrad unterwegs. Das Motorrad wurde von einem Pkw erfasst, der bei der Streithelferin haftpflichtversichert war. Die Klägerin wurde schwer verletzt. Im Verhältnis zwischen dem Ehemann der Klägerin einerseits und dem Fahrer des Pkw sowie der Streithelferin andererseits steht fest, dass die beiden letzteren für den Unfall dem Grund nach voll einstandspflichtig sind.
Rz. 113
Die am 21.1.1981 geborene Klägerin, die vor dem Unfall erwerbstätig war, war seit dem Unfall dauerhaft erwerbsunfähig. Sie erhielt deshalb von dem Träger der gesetzlichen Rentenversicherung eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Die Klägerin hat von der Beklagten Ersatz des Verdienstausfalls für die Jahre 2010 bis 2013 verlangt, den sie nach Anrechnung von Vorschüssen, die die Streithelferin auf den Verdienstausfallschaden der Klägerin erbracht hat, auf 91.202,73 EUR beziffert hat. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses vom 26.6.2010 zu erstatten, einschließlich des Rentenausfalls nach Erreichen der Altersgrenze.
Rz. 114
Das LG hat mit Teilgrund- und Teilurteil festgestellt, dass der Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres Verdienstausfalls für die Jahre 2010 bis 2013 dem Grunde nach gerechtfertigt ist und dass die Beklagte verpflichtet ist, jeden weiteren Verdienstausfall aus Anlass des Unfallereignisses zu ersetzen. Auf die Berufungen der Beklagten und der Streithelferin hat das OLG das Urteil im Wesentlichen bestätigt, klargestellt, dass die festgestellte Ersatzpflicht auch den Rentenausfall erfasst und – nur insoweit den Rechtsmitteln stattgebend – weiter festgestellt, dass der von der Beklagten zu erstattende Gesamtschaden der Klägerin aus dem Unfallereignis auf einen Höchstbetrag von 5 Mio. EUR beschränkt ist. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrte die Beklagte vollständige, die Streithelferin teilweise Klageabweisung.
b) Die rechtliche Beurteilung
Rz. 115
Die Revisionen waren teilweise begründet.
Die Klägerin konnte von der Beklagten Schadensersatzleistungen auf ihren Verdienstausfall bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze nur insoweit verlangen, als sie von einem Sozialversicherungsträger (hier: gesetzliche Rentenversicherung) infolge der unfallbedingten Erwerbsminderung keine kongruenten Leistungen erhalten oder noch zu beanspruchen hatte. Zum Ersatz des darüber hinausgehenden Verdienstausfallschadens war die Beklagte der Klägerin insoweit nicht verpflichtet, als dieser durch Ersatzleistungen seitens des Fahrers des unfallgegnerischen Pkw oder der Streithelferin als dessen Versicherer an die Klägerin ausgeglichen worden war.
Rz. 116
Die Klägerin war als Beifahrerin bei dem Betrieb des Motorrads, dessen alleiniger Halter nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts der Ehemann der Klägerin war, ...