Rz. 62
Die Voraussetzungen des § 110 Abs. 1 SGB VII lagen nach Auffassung des Berufungsgerichts vor:
Der Unfall des Sohnes des Beklagten am 10.3.2010 ist als Arbeitsunfall anerkannt; die Haftung des Beklagten für Personenschäden aus dem Unfall ist gemäß § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen. Er hat den Versicherungsfall unstreitig nicht vorsätzlich herbeigeführt. Ein Forderungsübergang auf die Klägerin gemäß § 116 SGB X findet nicht statt.
Rz. 63
Der Beklagte hat den Unfall grob fahrlässig verschuldet. Er hat seinen zum Unfallzeitpunkt ca. 8 ½-jährigen Sohn auf der vorderen linken Zinke des Gabelstaplers mitfahren lassen. Auf unebenem Teerbelag rutschte der Sohn des Beklagten von der Ladegabel herunter und geriet unter das linke Vorderrad. Dabei wurde er erheblich verletzt. Grobe Fahrlässigkeit setzt einen objektiv schweren und subjektiv nicht entschuldbaren Verstoß gegen die Anforderungen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus. Diese Sorgfalt muss in ungewöhnlich hohem Maß verletzt worden und es muss dasjenige unbeachtet geblieben sein, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (BGH, Urt. v. 18.2.2014 – VI ZR 51/13 –, juris; BGH NJW 1988, 1265 ff.). Der Sohn des Beklagten war mit 8 ½ Jahren nicht in der Lage, auf der Ladegabel sicheren Stand zu finden und sich festzuhalten. Die Ladegabel ist offenkundig kein geeigneter Ort, um Personen auf einem Gabelstapler zu transportieren. Der Beklagte hat damit gegen die von der Klägerin in der Klageschrift zitierten Unfallverhütungsvorschriften (§ 29 Abs. 2 und Abs. 7 der Unfallverhütungsvorschrift VSG 3.1 der Klägerin) verstoßen. Danach dürfen Beifahrer und Mitfahrer nur auf sicheren und für den Transport ausgerüsteten Plätzen transportiert werden, nicht aber z.B. auf der Ladefläche des Fahrzeugs. Der Beklagte erklärt den Verstoß gegen die Unfallverhütungsvorschriften damit, sein Sohn habe den Wunsch geäußert, auf der Gabel mitfahren zu dürfen und er habe ihm diesen Wunsch nicht abschlagen wollen, weil er überzeugt gewesen sei, durch vorsichtige Fahrweise jegliche Gefahr für den Jungen vermeiden zu können. Das vermag den Beklagten nicht zu entlasten. Zwischen der Brennerei und der Tresterlagerstelle lag ein Weg von mehreren hundert Metern, der zudem Unebenheiten aufwies. Auch wenn der Beklagte nur mit einer Geschwindigkeit um 10 km/h fuhr, setzte er seinen Sohn mit dem Transport auf der Ladegabel einer erheblichen Gefahr, die er nicht beherrschen konnte, aus. Ein 8 ½-jähriger Junge kann die Gefahren noch nicht vollständig einschätzen. All das musste der Beklagte erkennen und berücksichtigen. Wenn er dies nicht tat, liegt darin eine subjektiv schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung, die das in § 276 Abs. 2 BGB bestimmte Maß erheblich überschritten hat.
Rz. 64
Nach § 110 Abs. 1 SGB VII ist die Haftung des Unternehmers bei grob fahrlässiger Verursachung des Unfalls auf den Umfang des Schadensersatzes beschränkt, den er zivilrechtlich hätte leisten müssen. Die Haftung des Schädigers soll bei einem Regress des Sozialversicherungsträgers der Höhe nach an die fiktive zivilrechtliche Haftung gegenüber dem Geschädigten angeglichen werden. Der Schädiger soll so gestellt werden, wie er ohne die Privilegierung nach den §§ 104 ff. SGB VII stünde. Er soll nicht auf Kosten der Solidargemeinschaft der der Berufsgenossenschaft angehörenden Unternehmen privilegiert werden, aber auch nicht einer höheren Haftung ausgesetzt sein als ohne eine Privilegierung (BGH NJW 2006, 3563 ff.). Im Rahmen des § 110 SGB VII macht die Klägerin einen originären Anspruch geltend, nicht einen nach § 116 SGB X auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruch, der wegen der Haftungsprivilegierung nicht geltend gemacht werden kann. Deshalb besteht kein Raum für eine analoge Anwendung des Angehörigenprivilegs gemäß § 116 Abs. 6 SGB X. Eine Regelungslücke liegt nicht vor.
Rz. 65
Die familiäre Beziehung zwischen dem Beklagten und dem Verletzten ist von dem Sozialversicherungsträger im Rahmen der Ermessensentscheidung nach § 110 Abs. 2 SGB VII zu berücksichtigen. Die Entschließung über den Verzicht auf die Geltendmachung von Regressansprüchen ist in das billige Ermessen des Sozialversicherungsträgers gestellt. Seine Entscheidung ist rechtlich daraufhin zu überprüfen, ob sie sich in dem durch das Gebot der Billigkeit gezogenen Rahmen hält. Die Entscheidung über die Durchsetzung des Rückgriffs darf nicht rechtsmissbräuchlich, insbesondere mit unbilliger Härte, aufgrund Willkür oder sachfremder Erwägungen getroffen werden. In diesen engen Grenzen ist eine Überprüfung durch die Gerichte möglich (BGH NJW 1972, 107 ff.). Zu berücksichtigen sind die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers. Seine Existenz soll durch die Inanspruchnahme nicht bedroht oder vernichtet werden. Bei einer Heranziehung des mit dem Verletzten in häuslicher Gemeinschaft lebenden Angehörigen soll der familiäre Friede nicht gestört werden. Diese Gesichtspunkte treten zurück, wenn die Haftpflichtversicherung des Sch...