Florian Enzensberger, Maximilian Maar
Rz. 34
Beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament realisiert sich die Bindungswirkung durch die Wechselbezüglichkeit des § 2270 BGB.
Als bindende Verfügungen gelten sowohl beim Erbvertrag als auch beim Ehegattentestament nur die Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen (§§ 2278 Abs. 2, 2271 Abs. 3 BGB).
Als wechselbezüglich gilt die Verfügung eines Ehegatten, die er nicht ohne die Verfügung des anderen Ehegatten getroffen hätte, wenn die Verfügungen in ihrem rechtlichen Bestand voneinander abhängen, also miteinander stehen und fallen sollen.
Rz. 35
§ 2270 Abs. 2 BGB enthält eine diesbezügliche Auslegungsregel. Führt die Auslegung trotz Ausschöpfung aller Auslegungsmöglichkeiten nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, ist der Weg frei für die Anwendung der Auslegungsregel des Abs. 2. Danach ist die Wechselbezüglichkeit hinsichtlich der konkret untersuchten einzelnen Verfügung anzunehmen, wenn sich die Ehegatten gegenseitig bedacht haben, oder wenn ein Ehegatte den anderen bedacht und dieser Verfügungen zugunsten eines Dritten getroffen hat, der mit dem Erstgenannten verwandt ist oder diesem sonst nahe steht. Das OLG Koblenz hat aber klargestellt, dass die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 BGB nur dann Anwendung findet, wenn die Auslegung keine Klarheit über den Verknüpfungswillen gebracht hat. Im Rahmen der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments muss der gesamte Inhalt der Erklärungen einschließlich aller Nebenumstände, auch solcher, die außerhalb der Testamentsurkunde liegen als Ganzes gewürdigt werden. Bei der Ermittlung des Erblasserwillens muss auch die Lebenserfahrung berücksichtigt werden, dass beim Fehlen verwandtschaftlicher Beziehungen zwischen dem zuerst verstorbenen Ehemann und dem eingesetzten Schlusserben dem Längstlebenden das Recht zustehen soll, die Erbfolge anderweitig festzulegen.
Die einseitige Beseitigung wechselbezüglicher Verfügungen erfolgt nach § 2271 BGB durch Widerruf. Dieser Widerruf richtet sich zu Lebzeiten der Ehegatten nach der für den Rücktritt vom Erbvertrag geltenden Vorschrift des § 2296 BGB. Das Recht zum Widerruf erlischt grundsätzlich mit dem Tod des anderen Ehegatten.
Den Ehepartnern steht es aber frei, die Widerruflichkeit der wechselbezüglichen Verfügungen über den Tod des erstversterbenden Ehegatten hinaus zuzulassen. Der Widerruf kann dann durch ein einseitiges Testament des überlebenden Ehegatten erfolgen. Die vereinbarte Widerruflichkeit stellt die dogmatische Basis des Änderungsvorbehalts beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament dar. Anders als beim Erbvertrag unterliegt der Änderungsvorbehalt beim gemeinschaftlichen Ehegattentestament durch Vereinbarung der Widerruflichkeit wechselbezüglicher Verfügungen keinen Beschränkungen. Die Testierfreiheit bzw. die Beseitigung der Bindungswirkung hängt in diesem Fall immer vom Umfang der Abänderungsklausel ab.
Rz. 36
Häufig ist in Ehegattentestamenten eine beschränkte Abänderungsklausel in der Weise vorgesehen, dass die Schlusserbfolge nur im Rahmen der Abkömmlinge und deren Abkömmlingen abgeändert werden kann. Beim Testament der Patchworkfamilie ist genau festzuschreiben, ob der jeweils länger lebende Ehegatte nur im Rahmen der ehegemeinschaftlichen Kinder oder aber im Rahmen aller vorhandenen Kinder abändern darf.
Ist aber ein Abänderungsvorbehalt vorgesehen ohne jegliche Beschränkung, sieht man darin regelmäßig eine Aufhebung der Wechselbezüglichkeit. Eine Bindungswirkung besteht nicht.
Formulierungsbeispiel (ohne Bindungswirkung und Wechselbezüglichkeit)
Die Verfügungen in unserem Testament sind nicht wechselbezüglich. Jeder der Ehegatten darf folglich vor oder nach dem ersten Erbfall von diesem Testament abweichende Verfügungen treffen, auch ohne den anderen Ehegatten hiervon in Kenntnis zu setzen.
Formulierungsbeispiel (Wegfall der Bindungswirkung nach dem ersten Todesfall)
Alle in unserem Testament getroffenen Verfügungen bis zum ersten Todesfall sind wechselbezüglich. Der überlebende Ehegatte ist befugt, sämtliche von uns getroffenen Verfügungen für den zweiten Todesfall jederzeit zu ändern oder zu ergänzen.
Formulierungsbeispiel (teilweise Wechselbezüglichkeit/Bindungswirkung)
Alle von uns getroffenen Verfügungen in diesem Testament sind wechselbezüglich, mit Ausnahme des Vermächtnisses zugunsten des Kindes (…). Dieses Vermächtnis kann von der Ehefrau jederzeit vor oder nach dem ersten Todesfall geändert, ergänzt oder widerrufen werden. Eine förmliche Widerrufserklärung ist hierzu nicht notwendig. Ebenso wenig muss der Ehemann hierüber in Kenntnis gesetzt werden.
Formulierungsbeispiel (eingeschränkter Abänderungsvorbehalt)
Unsere gegenseitig getroffenen Verfügungen für den ersten und zweiten Todesfall sind wechselbezüglich und bindend, mit der Maßgabe, dass der länger lebende Ehegatte durch Verfügung von Todes wegen die Schlusserbfolge innerhalb unserer ehegemeinschaftlichen Kinder und deren Abkömmlingen vollumfänglich abändern darf. Verfügungen zugunsten anderer Personen sind aber nicht zulässig.
oder:
In Abwe...