Rz. 216
Unter einem Vorausvermächtnis versteht man ein Vermächtnis, das dem oder den Miterben selbst zugewandt wird. Es handelt sich hierbei um eine Gestaltungsmöglichkeit, mit der einem der Miterben ein bestimmter Gegenstand zugewandt werden kann, ohne dass diesbezüglich eine Anrechnung auf seinen Erbteil erfolgt (vgl. Muster zum Vorausvermächtnis Rdn 482). Der Vorausvermächtnisnehmer hat grundsätzlich bereits vor der Nachlassteilung einen Anspruch gegenüber den übrigen Miterben auf Übertragung des vermachten Gegenstands, bei der Teilung des Restnachlasses erhält der Vermächtnisnehmer dann zusätzlich den ungekürzten Anteil am Nachlass entsprechend seiner Erbquote. Bei der Anordnung eines Vorausvermächtnisses ist zu regeln, wer Ersatzvermächtnisnehmer werden soll. Eine im Testament angeordnete Teilungsanordnung gilt gleichsam auch für etwaige Ersatzerben. Für ein angeordnetes Vorausvermächtnis muss dies allerdings nicht gelten. Es ist durchaus möglich, dass der Erblasser einem seiner Kinder eine bestimmte Zuwendung machen wollte, dies aber nicht gelten soll, wenn anstelle des Kindes Enkel zum Zuge kommen. Bezweckt der Erblasser eine wertmäßige Begünstigung des Miterben, ist von einem Vorausvermächtnis auszugehen.
Rz. 217
Vorteil des Vorausvermächtnisses ist, dass es grundsätzlich nicht der Vor-/Nacherbenbindung unterliegt, § 2110 Abs. 2 BGB. Ein Gegenstand, der dem Vorerben im Wege des Vorausvermächtnisses zugewandt wurde, fällt dem Nacherben nicht mehr an. Wird zugunsten des Alleinerben, der zum Vorerben berufen wurde, ein Vorausvermächtnis angeordnet, so fällt der zugewandte Gegenstand mit dem Erbfall automatisch in das freie Vermögen des Vorerben. Somit tritt hier ausnahmsweise eine dingliche Wirkung des Vermächtnisses ein. Auch beim Erbschaftskauf bleibt das Vorausvermächtnis unberücksichtigt.
Rz. 218
Der einem Miterben im Wege der Teilungsanordnung zugewiesene Gegenstand muss von diesem grundsätzlich übernommen werden, es sei denn, er ist in seinem Pflichtteilsrecht beeinträchtigt. Ein Vorausvermächtnis hingegen kann ausgeschlagen werden. Schlägt eine zum Erben berufene Person die Erbschaft aus, ist damit auch eine angeordnete Teilungsanordnung gegenstandslos. Wurde daneben zusätzlich ein Vorausvermächtnis angeordnet, bleibt dieses zunächst bestehen, es sei denn, es wird ebenfalls ausgeschlagen. Eine Teilungsanordnung gibt keinen Anspruch auf eine vorgezogene Teilauseinandersetzung. Sie kann vielmehr nur im Rahmen der allgemeinen Auseinandersetzung geltend gemacht werden. Im Gegensatz hierzu gibt das Vorausvermächtnis einen sofortigen Erfüllungsanspruch. Bereits vor dem Erbfall genießt derjenige, dem ein Vorausvermächtnis zugewandt wurde, den Schutz des § 2288 BGB. Gemäß § 1973 BGB gehört das Vorausvermächtnis nach seinem Vollzug nicht mehr zum haftenden Nachlass bei der beschränkten Erbenhaftung. Es ist lediglich noch eine Anfechtung durch die Nachlassgläubiger gem. § 322 InsO möglich. Demgemäß genießt der Vorausvermächtnisnehmer somit einen stärkeren Schutz als der durch die Teilungsanordnung Begünstigte. Gegenstände, die im Rahmen einer Teilungsanordnung zugewiesen wurden, gehören hingegen bei der beschränkten Erbenhaftung zur Haftungsmasse.
Rz. 219
Ob ein Vorausvermächtnis vorliegt oder eine Teilungsanordnung ist, sofern es an einer klaren Regelung fehlt, im Wege der Auslegung zu ermitteln. Die Rechtsprechung stellt darauf ab, ob ein Begünstigungswille des Erblassers vorliegt, d.h. ob er dem Zuwendungsempfänger einen Vermögensvorteil zuwenden wollte. In diesem Falle ist von einem Vorausvermächtnis auszugehen. Im Übrigen kann der Erblasser auch andere Gründe dafür haben, dass die begünstigte Person, auch wenn sie die Erbschaft ausschlägt, einen bestimmten Gegenstand behalten soll. Daraus folgt, dass der Begünstigungswille zwar Indiz für das Vorliegen eines Vorausvermächtnisses ist, jedoch keine zwingende Voraussetzung.
Rz. 220
Typische Vorausvermächtnisse sind beispielsweise das Hausratsvermächtnis oder das Vorausvermächtnis an den Vorerben. Das Hausratsvermächtnis sollte in der Regel diejenigen Gegenstände umfassen, die der Erbe, in der Regel der überlebende Ehegatte, für sein tägliches Leben benötigt und die auch für den täglichen Gebrauch angeschafft worden sind. Dieses Hausratsvermächtnis sollte zumindest dem gesetzlichen Voraus entsprechen. Beim gesetzlichen Voraus i.S.d. § 1932 BGB handelt es sich um ein gesetzliches Vorausvermächtnis. Der gesetzliche Voraus i.S.v. § 1932 BGB kommt nur im Falle des Eintritts der gesetzlichen Erbfolge zur Anwendung. In den Fällen, in denen der Erblasser ein Testament errichtet, muss er den "Voraus" im Wege des Vorausvermächtnisses ausdrücklich anordnen. Sinnvoll wäre es darüber hinaus, wenn im Rahmen des Hausratsvermächtnisses auch persönliche Gegenstände des Erblassers dem Erben zugewandt werden.
Rz. 221
Es besteht auch die Möglichkeit, eine Teilungsanordnung mit einem Vorausvermächtnis zu kombinieren. In diesem Falle nimmt der Erblasser...