Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 176
Der in der Ehewohnung verbleibende Ehegatte schuldet eine Nutzungsvergütung, wenn und soweit dies der Billigkeit entspricht, auch dann, wenn die Wohnungsüberlassung an den bleibenden Ehegatten freiwillig erfolgt. Dabei folgt der Anspruch auf Nutzungsentschädigung aus § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB als lex specialis gegenüber § 745 Abs. 2 BGB.
Rz. 177
Grundsätzlich hat der weichende Ehegatte einen Anspruch auf Nutzungsentschädigung, wobei seine wirtschaftliche Situation und potenzielle Trennungsunterhaltsansprüche des in der Wohnung verbleibenden Ehegatten zu prüfen und gegeneinander abzuwägen sind. Eine Nutzungsentschädigung in Höhe des Verkehrswerts dürfte in der Trennungszeit nur selten der Billigkeit entsprechen. Etwas anderes mag gelten, wenn Kinder nicht betroffen sind, wobei dann auch eine Aufteilung der ehelichen Wohnung möglich sein dürfte.
Rz. 178
Ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung gegen den in der alten Wohnung verbliebenen Ehegatten kann also auch bei einem Mietverhältnis in Betracht kommen und auch dann, wenn der weichende Ehegatte freiwillig ausgezogen ist. Der Nutzungsentschädigungsanspruch nach § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB wird aber durch die ehelichen Lebensverhältnisse und die über die Trennung der Eheleute hinausgehende Pflicht zur ehelichen Solidarität überlagert. Er ist nur insoweit zu gewähren, als es der Billigkeit entspricht. Die Billigkeit einer Vergütung hängt von der Leistungsfähigkeit des in der Wohnung verbliebenen Ehegatten sowie den Belastungen durch gemeinschaftliche Kinder ab.
Rz. 179
Zwischen den Ehegatten etwa bestehende Unterhaltspflichten sind in die Billigkeitsabwägung nach § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB jedenfalls insoweit einzubeziehen, als bereits rechtskräftig über sie entschieden wurde. Das folgt aus dem Verbot der Doppelverwertung. Insbesondere darf kein zusätzlicher Nutzungsentschädigungsanspruch ausgeworfen werden, wenn bereits ein titulierter Unterhaltsanspruch besteht, bei dem der Wohnwert anspruchsmindernd berücksichtigt wurde. Beim Fehlen einer Unterhaltsregelung im Rahmen der bei der Prüfung des Anspruchs auf Nutzungsentschädigung vorzunehmenden Billigkeitsabwägung ist eine einheitliche wirtschaftliche Betrachtungsweise geboten, welche darauf abstellt, ob der in der Ehewohnung verbliebene Ehegatte im Falle der von ihm abgelehnten Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den anderen Ehegatten – unabhängig von dessen tatsächlicher Geltendmachung – einen Anspruch auf Trennungsunterhalt hätte.
Rz. 180
OLG Karlsruhe v. 10.1.2019 – 20 UF 141/18
Zitat
Wird die Ehewohnung von den Schwiegereltern mietfrei zur Verfügung gestellt, so kann das aus der Ehewohnung ausgezogene Schwiegerkind von dem in der Wohnung verbleibenden Ehegatten grundsätzlich keine Nutzungsentschädigung verlangen, da die mietfreie Überlassung der Ehewohnung an die Ehegatten in aller Regel auf dem Verwandtschaftsverhältnis beruht.
Rz. 181
Praxistipp:
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Der Anspruch auf Nutzungsentschädigung entsteht erst mit dem Zahlungsverlangen im Sinne des § 1361b Abs. 3 Satz 3 BGB und nicht schon mit dem Beginn der Alleinnutzung. Dieses Zahlungsverlangen ist damit Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch. Als Einwendung kann dieser Anspruch von dem weichenden Ehegatten hingegen auch rückwirkend geltend gemacht werden. |
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Ein deutliches Zahlungsverlangen ist ausreichend. Der Antragsgegner muss nicht ausdrücklich vor die Alternative "zahlen oder Auszug" gestellt werden. |
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Die Rechtsprechung zur Wertfestsetzung eines Anspruchs eines Ehegatten auf Nutzungsentschädigung ist unterschiedlich. |
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Sehr weitgehend ist die Ansicht, anknüpfend an die §§ 48 GKG, 9 ZPO den 3 ½-fachen Jahresbetrag der verlangten Nutzungsvergütung festzusetzen. |
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Das OLG Braunschweig setzt nach billigem Ermessen den Wert eines gegen den geschiedenen Ehegatten geltend gemachten Anspruchs auf Nutzungsentschädigung auf den 12-fachen Betrag der geforderten monatlichen Leistung fest. |
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Für einen solchen Entschädigungsanspruch während der Trennung gemäß § 1361b Abs. 3 Satz 2 BGB wird Regelverfahrenswert von 3.000,00 EUR angesetzt. |
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Dieser Festwert ist auch dann anzusetzen, wenn lediglich für einen Monat eine Ausgleichszahlung verlangt wird. Damit wird das Kostenrisiko des weiter in der Wohnung verbleibenden Ehegatten bei einem bestehenden Anspruch auf Nutzungsvergütung für die Wohnung hoch, auch wenn die geschuldete Nutzungsvergütung selbst gering ist. |