Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 195
Nach § 1361b BGB kann ein Ehegatte von dem anderen Ehegatten im Falle der Trennung verlangen, dass ihm der andere die Ehewohnung oder Teile der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung überlässt, soweit dies auch unter Berücksichtigung der Belange des anderen Ehegatten notwendig ist, um eine unbillige Härte zu vermeiden, wobei eine unbillige Härte auch dann gegeben sein kann, wenn das Wohl von im Haushalt lebenden Kinder beeinträchtigt ist.
Das gesetzlich nicht definierte Richtmaß ‘unbillige Härte’ weist über den Bereich der häuslichen Gewalt hinaus. Durch ausdrückliche Erwähnung herausgehoben sind als Tatbestände, die eine unbillige Härte begründen können, die Anwendung von Gewalt und die Beeinträchtigung des Kindeswohles.
Die Zuweisung der Ehewohnung gem.§ 1361b BGB ist bereits möglich, wenn die häusliche Atmosphäre nachhaltig gestört ist und dies zu erheblichen Belastungen des Kindes führt. Ist also ein erträgliches Zusammenleben der Familie unter einem Dach nicht mehr möglich, hat das Interesse der Kinder – auch der nicht gemeinschaftlichen Stiefkinder – an einer geordneten, ruhigen und entspannten Familiensituation Vorrang vor den Interessen des Miteigentümers.
Dem Kindeswohl wird bei der zu treffenden Billigkeitsabwägung besondere Bedeutung beigemessen. Unerheblich ist dabei, ob das Kindeswohl durch tatsächlich ausgeübte physische Gewalt beeinträchtigt wird oder eine fortdauernde psychische Belastung, folgend aus Spannungen und streitigen Auseinandersetzungen auf der Elternebene, in Rede steht. Da die Sicherung einer geordneten, ruhigen und entspannten Familiensituation primäres Ziel ist, erstreckt sich der Schutz über die Volljährigkeit hinaus. Nach dem Kontinuitätsgrundsatz soll der Verbleib des Kindes in seiner bisherigen und gewohnten Umgebung gewährleistet werden.
Der finanziell gut gestellte Ehepartner, der sich nicht um die Kinder kümmern muss, ist eher in der Lage, sich Ersatzwohnraum zu beschaffen und die Nachteile eines Wohnungswechsels in Kauf zu nehmen.
Nur ausnahmsweise kann eine Aufteilung der ehelichen Wohnung in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, dass mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Beteiligten entweder nicht zu rechnen ist, oder wenn sich die Streitparteien wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen.
§ 1361b BGB und die Regelungen des GewSchG sind nebeneinander anwendbar, wenn die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen gegeben sind. § 1361 BGB ist gegenüber § 2 GewSchG lex specialis, wenn es bereits zu einer Trennung gekommen ist, oder ein Ehegatte die Zuweisung der Wohnung erstrebt, um die Trennung herbeizuführen.
Es ergibt sich folgende Übersicht für die Wohnungszuweisung:
Neben § 1361b BGB kommt daher § 2 GewSchG für eine Wohnungszuweisung in Betracht, wobei unterschiedliche Tatbestandsvoraussetzungen gelten:
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§ 1361b BGB ist nur unter Eheleuten anwendbar, während § 2 GewSchG eine Wohnungszuweisung für alle Haushaltsgemeinschaften möglich macht, also z.B. auch für die nichteheliche Lebensgemeinschaft. |
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Im Gegensatz zu § 2 GewSchG ist zudem die Trennung der Eheleute bzw. der Trennungswille eines Ehegatten Voraussetzung. |
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Nach § 1361b BGB erfolgt die Zuweisung nur für die Trennungszeit, nach § 2 GewSchG ist eine Befristung vorgesehen bei gemeinsamer dinglicher Berechtigung oder gemeinsamem Mietvertrag. Besteht eine dingliche (Allein-)Berechtigung des weichenden Ehegatten, ist die Zuweisung gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewSchG auf sechs Monate zu befristen, während gem. § 1361b BGB eine Zuweisung für die gesamte Trennungszeit beschlossen werden kann. |
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Schließlich kann nach § 1361b BGB eine Zuweisung nicht nur bei Vorliegen häuslicher Gewalt, sondern auch bei einer sonstigen unbilligen Härte erfolgen, insbesondere der Beeinträchtigung des Wohls der im Haushalt lebenden Kinder. |
Praxistipp:
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Anträge nach § 1361b BGB und § 1 GewSchG können in einem Verfahren verhandelt und entschieden werden. |
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Unabhängig von den in der Antragsschrift zitierten Vorschriften kann das Familiengericht nach dem Meistbegünstigungsprinzip die durch den Sachverhalt gedeckten Normen anwenden. |
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Hat das Ausgangsgericht einen Antrag gemäß § 1361b BGB nach § 2 GewSchG entschieden, wendet das Beschwerdegericht die durch den Sachverhalt gedeckten Normen zum Erreichen des Anspruchsziels an. In Ehewohnungssachen ist dabei das Schlechterstellungsgebot zu beachten. |
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Wenn die getrennt lebende Ehefrau den Antrag auf Wohnungszuweisung wegen einer angeblichen Gewalttätigkeit des Ehemannes aber ausdrücklich auf das GewSchG stützt, ist der Antrag als ein solcher nach § 2 GewSchG auszulegen, eine Prüfung der Voraus... |