Dr. iur. Wolfram Viefhues
Rz. 168
Hat ein Ehegatte für den anderen Ehegatten eine Bürgschaft oder ein Schuldanerkenntnis abgegeben, ist ebenfalls die Frage der Wirksamkeit zu stellen und die konkrete Verpflichtung im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Bürgschaftsübernahme durch Ehegatten, Lebensgefährten und nahe Angehörige zu überprüfen.
Bei der Bürgschaft eines Ehegatten für den anderen Ehepartner darf ein Gläubiger mangels gegenteiliger Anzeichen i.d.R. davon ausgehen, dass diese den verständigen Interessen beider Ehegatten dient und die Entscheidung für die Bürgschaft in freier Selbstbestimmung ohne Missbrauch der Vertragsfreiheit getroffen wurde.
Die Bürgschaft kann aber bei krasser finanzieller Überforderung des Bürgen bzw. des die fremde Schuld Übernehmenden sittenwidrig sein. Krass überfordert ist der Bürge/Schuld mitübernehmende u.a. dann, wenn er aus eigenen finanziellen Mitteln voraussichtlich nicht einmal die laufenden Zinsen der Hauptschuld aufzubringen vermag. Anderweitige Sicherheiten des Gläubigers sind in diesem Zusammenhang nur zu berücksichtigen, soweit sie das Haftungsrisiko des bürgenden oder durch Schuldanerkenntnis mithaftenden Angehörigen verringern.
BGH, Urt. v. 15.11.2016 – XI ZR 32/16
Zitat
1. Hat der finanziell nicht leistungsfähige Ehegatte die Mithaftung für die Rückzahlung eines dem anderen Ehegatten gewährten Darlehens übernommen (hier: für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses im Rahmen eines Förderprogramms für den Wohnungsbau auf einem in seinem Alleineigentum stehenden Grundstück), ohne ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Darlehensgewährung zu haben, besteht die tatsächliche Vermutung dahin, dass der Mithaftende die ihn vielleicht bis an das Lebensende übermäßig finanziell belastende Personalsicherheit allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner gestellt und der Kreditgeber dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat. Diese tatsächliche Vermutung hat der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Kreditgeber/Gläubiger zu widerlegen. (Rn 20)
2. Trotz Vorliegens einer krassen finanziellen Überforderung des mithaftenden Ehegattenkann die tatsächliche Vermutung der Sittenwidrigkeit der Mithaftungserklärung widerlegt sein, wenn das Haftungsrisiko des Betroffenen in rechtlich gesicherter Weise auf ein vertretbares Maß beschränkt ist, weil der Kreditnehmer (noch) weitere Sicherheitsleistungen – vor allem dingliche Sicherheiten – erbracht hat. Nach dem Willen verständiger Parteien darf den finanziell krass überforderten Bürgen oder Mithaftenden jedoch mit Rücksicht auf die weitere Sicherheit allenfalls eine seine finanzielle Leistungsfähigkeit nicht übersteigende und damit von § 138 Abs. 1 BGB nicht erfasste "Ausfallhaftung" treffen, Dazu muss gewährleistet sein, dass der Kreditgeber ihn erst nach einer ordnungsgemäßen Verwertung der anderen Sicherheit in Anspruch nimmt. (Rn 23)
3. Die tatsächliche Vermutung einer verwerflichen Gesinnung des Gläubigers wird auch nicht ohne weiteres dadurch widerlegt, dass Wertangaben des Bürgen oder Mithaftenden in einer in zeitlichem Zusammenhang mit dem Abschluss des Bürgschaftsvertrags bzw. der Mithaftungserklärung erteilten Selbstauskunft seine objektiv krasse finanzielle Überforderung nicht erkennen lassen. Den (subjektiven) Vorwurf der Sittenwidrigkeit räumen sie nur aus, wenn sie einer sorgfältigen Überprüfung des Gläubigers standhalten. Für Angaben durch einen Dritten gilt dies erst recht. (Rn 26)
Rz. 169
Auch wenn der pfändbare Teil seines Einkommens voraussichtlich nicht einmal die auf den Schuldbetrag entfallenden laufenden Zinsen abzudecken vermag, ist von einer krassen Überforderung des bürgenden oder die Mithaftung übernehmenden Ehegatten oder nahen Angehörigen im Sinn dieser Rechtsprechung auszugehen, die die Unwirksamkeit der Bürgschaft nach sich zieht. Dagegen scheidet eine krasse finanzielle Überforderung aus, wenn die Bürgenschuld durch den Wert eines dem Bürgen gehörenden Grundstücks abgedeckt ist.
Die Rechtsprechung hat auch in ähnlichen, in ihrer rechtlichen Bewertung vergleichbaren nachstehenden Sachverhalten eine Angehörigenbürgschaft für nichtig befunden:
▪ |
dem bürgenden nahen Angehörigen ggü. wurden der Umfang und die Tragweite der Bürgenhaftung verharmlost, |
▪ |
ihm wurden (für den Gläubiger) absehbare Risiken verschwiegen, |
▪ |
die Mithaftung wurde nur aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen; dies wurde vom Kreditgeber in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt, |
▪ |
seine Geschäftsunerfahrenheit wurde zum Vorteil des Gläubigers ausgenutzt, |
▪ |
der Hauptschuldner verfolgt erkennbar sittlich missbilligenswerte Handlungen, die der Gläubiger hinnimmt und dabei den Angehörigen in die Haftung zieht, ohne dass dessen eigene Interessen durch den gewährten Kredit befriedigt werden, |
▪ |
besonderer psychischer Druck war bestimmendes Motiv des Bürgen für die Übernahme der Bürgschaft oder |
▪ |
die Bürgschaft war aufgrund der Einkommens- und Vermögenssituation des Bürgen wirt... |