Andre Naumann, Christian Brinkmann
Rz. 19
Problematisch und in der Praxis häufig Anlass zu Streit ist die Thematik der Eigenbewegung der VP, welche zu einer Verletzung geführt hat. Eigenbewegungen sind regelmäßig beim Merkmal der "Einwirkung von außen" zu diskutieren und nicht bei der "Plötzlichkeit". Gerade in diesem Bereich ist ein präzise ermittelter Sachverhalt von großer Bedeutung, da bereits geringe Detailabweichungen im Geschehensablauf zu einer anderen rechtlichen Bewertung führen können. Der VN gibt oftmals bei der Schadenmeldung eine sehr kurze Darstellung des Geschehens ab. Im Zweifel muss detailliert beim VN nachfragen.
Liegt kein Unfall sondern eine Eigenbewegung vor, dann ist ein Anspruch über die sog. Unfallfiktion zu prüfen (vgl. Rn 54 ff.).
Rz. 20
Unstrittiger Ausgangspunkt ist zunächst, dass ein Ereignis auch dann von außen auf den Körper wirkt, wenn die VP durch eigene Bewegung eine Kollision ihres Körpers mit der Außenwelt verursacht hat.
Beispiele
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Sturz auf Glatteis |
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Schnittverletzung beim Brotschneiden |
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Laufen gegen ein Hindernis |
Für die weitere Abgrenzung ist darauf abzustellen, ob die ausgeführte Handlung regelgerecht oder regelwidrig ablief.
a) Regulärer Verlauf der Eigenbewegung
Rz. 21
Eine Einwirkung von außen liegt nach allgemeiner Ansicht bei Eigenbewegungen mit regulärem Ablauf nicht vor. Wenn die Eigenbewegung vollständig und ihrem gesamten Verlauf willensgesteuert und planmäßig abläuft, liegt also kein Unfall vor.
Beispiele
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Riss der Achillessehne beim Lossprinten während eines Hallenfußballspiels |
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Umknicken beim Aussteigen aus dem Auto ohne weitere äußere Umstände |
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Umknicken des Fußes auf normalen Boden |
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Aufstehen aus der Hocke |
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Anheben einer Mörtelwanne |
b) Irregulärer Verlauf der Eigenbewegung
Rz. 22
Eigenbewegungen der VP können dann Einwirkungen von außen sein, wenn äußere Umstände zum Abweichen von der geplanten und willensgesteuerten Bewegung führen.
Beispiele
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Umknicken des Fußes an einer Bordsteinkante |
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Umknicken auf einem stark bremsenden ("stumpfen") Hallenboden |
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Achillessehnenriss nach Pressball beim Fußballspielen |
Rz. 23
Praxistipp
Ist es zu einem Sturz der VP gekommen und die Verletzung durch den Sturz verursacht, so sind Erwägungen zu einem regulären oder irregulären Ablauf einer Eigenbewegung überflüssig. Es ist demnach an dieser Stelle gleichgültig, ob der Sturz auf Glatteis, unebenen oder ebenen Boden erfolgte, ob also zuvor eine reguläre oder irreguläre Eigenbewegung vorlag. Wenn feststeht, dass der Gesundheitsschaden durch den Aufprall beim Sturz unmittelbar verursacht ist, so ist dieser Aufprall ohne weiteres ein von außen auf den Körper wirkendes Ereignis.
Probleme in diesem Zusammenhang können sich allenfalls bei Unfreiwilligkeit des Sturzes (vgl. Rn 35 ff.) oder bei der Frage ergeben, ob die Ursache bzw. Wirkung des Sturzes einen Ausschlusstatbestand erfüllt.
Rz. 24
Auch eine eigentlich planmäßige Eigenbewegung kann dadurch, dass sie eine unerwartete Wendung nimmt, den Unfallbegriff erfüllen. Trifft die VP etwa beim Sprung von einer Mauer unerwartet hart auf den Boden, so ist aufgrund dieser Fehleinschätzung ein von außen wirkendes Ereignis anzunehmen.
c) Eigenbewegungen im Zusammenhang mit Gegenständen
Rz. 25
Nimmt die Arbeit mit einem Gegenstand einen irregulären Verlauf in der Art, dass die (Kraft-) Anstrengung von außen provoziert ist, liegt ein Unfallereignis vor. Der Gegenstand entwickelt dabei eine Eigendynamik, welche die VP nicht mehr regulär kontrollieren kann.
Beispiele für Einwirkungen von außen
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Heben zwei Männer einen ca. 50 kg schweren Grabstein an und lässt dann die zweite Person den Stein los und zu Boden fallen, so entfaltet der Stein für die erste Person eine Eigendynamik durch das nun von ihm zu haltende Gewicht, so dass ein hierdurch erlittener Kompressionsbruch des 5. Lendenwirbelknochens unfallbedingt ist. |
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Erleidet die VP wegen eines Sprungs von einer ca. 50 cm hohen Transportfläche mit einer ca. 80 kg schweren Glassscheibe eine Wadenverletzung mit Muskelfaserriss, so ist trotz der von der VP willentlich in Gang gesetzten Bewegung aufgrund der Eigendynamik der Glasscheibe ... |