Rz. 186
Zwei BGH-Entscheidungen aus dem Jahre 2009 sorgen in der Praxis immer wieder für Verwirrung, wenn man allein die Leitsätze ohne Kenntnis des Sachverhalts liest:
Zitat
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"Die Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Vorbemerkung 3 Abs. 4 Satz 1 VV RVG kommt nicht in Betracht, wenn zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr im Sinne von Nr. 2300 VV RVG entstanden ist, sondern sie ihrem Prozessbevollmächtigten für dessen vorprozessuales Tätigwerden ein von einzelnen Aufträgen unabhängiges Pauschalhonorar schuldet." (Leitsatz der Schriftleitung) |
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"1. Eine anrechenbare Geschäftsgebühr entsteht nicht, wenn die obsiegende Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten für dessen vorgerichtliche Tätigkeit eine nach dem RVG zulässige Vergütungsvereinbarung getroffen hat. Es bleibt verbleibt mithin bei dem Ansatz einer vollen Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren." |
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2. Es kann dahinstehen, ob § 15a RVG rückwirkend auch auf Altfälle oder nur auf nach dem Inkrafttreten dieser Regelung erteilte Aufträge zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG anzuwenden ist.“ (Leitsätze der Schriftleitung) |
Rz. 187
Hinweis
Aus beiden Entscheidungen lässt sich nicht entnehmen, ob eine "fiktive Geschäftsgebühr" eingeklagt und zugesprochen worden ist. Der Wortlaut der Entscheidungen legt vielmehr nahe, dass gerade KEINE vorgerichtlichen Kosten mit der Klage geltend gemacht worden sind. Dem entsprechend sind die Entscheidungen folgerichtig.
Rz. 188
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber erst zum 5.8.2009 durch Einführung des § 15a RVG klargestellt hat, dass ein Dritter sich auf die Anrechnung nur berufen kann, wenn er erfüllt, gegen ihn tituliert oder beide vollen Gebühren im selben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden. Bis zu dieser Klarstellung wurde vom BGH die Auffassung vertreten, dass die Anrechnung unabhängig von diesen Kriterien zu erfolgen habe, also auch dann, wenn eine Geschäftsgebühr materiell-rechtlich gar nicht erstattet verlangt worden war; es wurde vielmehr allein auf die Entstehung abgestellt.
Rz. 189
2014 entschied der BGH dann unter anderen Vorzeichen über die Frage, ob eine Anrechnung der Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu erfolgen habe; er kam auch hier zum Ergebnis, dass eine Anrechnung ausscheidet.
Rz. 190
Zitat
"Eine Anrechnung einer Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gem. Teil 3 Vorb. 3 IV 1 VV RVG kommt nicht in Betracht, wenn im Verhältnis zwischen der erstattungsberechtigten Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten keine Geschäftsgebühr i.S.v. Nr. 2300–2303 VV RVG entstanden ist, sondern die Partei mit ihrem Prozessbevollmächtigten eine zulässige Honorarvereinbarung getroffen hat. In einem solchen Fall findet die Vergütung ihre Rechtsgrundlage in der Vergütungsvereinbarung. Das vereinbarte Honorar ist keine Geschäftsgebühr in diesem Sinne; die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr scheidet aus." (Leitsatz der Redaktion)
Rz. 191
Was ist hier anders? Es wurde mit der Klage eine "fiktive Geschäftsgebühr" geltend gemacht, obwohl eine Honorarvereinbarung getroffen worden war. Im Vergleich erfolgte dann die Übernahme eines Pauschalbetrags für entstandene vorgerichtliche Kosten. Im Kostenfestsetzungsverfahren wurde dann über die Frage gestritten ob nun eine Anrechnung der Geschäftsgebühr zu erfolgen habe oder nicht. Der BGH verneinte die Anrechnung, da keine "Geschäftsgebühr" konkret eingeklagt worden sei; vielmehr war die Rede von vorgerichtlichen Kosten in Höhe einer Geschäftsgebühr. Eine Offenlegungspflicht zum Zeitpunkt der Klage, dass eine Honorarvereinbarung getroffen worden sei, erfolgte nicht und musste auch nach Ansicht des BGH nicht erfolgen.
Rz. 192
Der zunächst vorgeschlagene Vergleichstext lautete wie folgt:
Zitat
Für die Abgeltung der vorprozessualen Anwaltskosten unserer Mandantin zahlt Ihre Mandantin einen pauschalen Betrag von 30000 EUR (inkl. USt). Von den Prozesskosten trägt die Kl. ¼ und die Bekl. ¾.
Es wurde schließlich im Beschlusswege gem. § 278 Abs. 6 ZPO das Zustandekommen eines gerichtlichen Vergleichs festgestellt. Bezogen auf die Kosten war folgende Regelung aufgenommen:
Zitat
5. Zur Abgeltung der vorprozessualen Anwaltskosten der Kl. zahlt die Bekl. An die Kl. einen Betrag i.H.v. 2.521,01 EUR zzgl. 478,99 EUR Umsatzsteuer = insgesamt 3.000,00 EUR. Die Kosten des Rechtsstreits und dieses Vergleichs tragen die Kl. Zu ¼ und die Bekl. zu ¾.
Rz. 193
Der BGH führt aus, dass die Auffassung des vorinstanzlichen OLG, dass der Grundsatz der Nichtanrechenbarkeit dann einer Einschränkung unterliege, wenn ein Rechtsstreit durch Vergleich beendet wird und die von den Parteien hierbei getroffene Kostenregelung auf der Grundlage erfolgt ist, dass außerprozessual eine anrechenbare Geschäftsgebühr angefallen und keine Honorarvereinbarung getroffen worden ist und die erstattungsberechtigte Partei in einem solchen Fall auch nicht erstmals nachträglich ...