Rz. 83

Auch wenn auf den Versorgungsausgleich deutsches Recht anzuwenden ist, ist der Versorgungsausgleich nur dann von Amts wegen durchzuführen, wenn ihn das Heimatrecht mindestens eines der Ehegatten kennt. Das deutsche Recht will nicht Ehegatten, deren Heimatrecht ein Versorgungsausgleich unbekannt ist, mit diesem Rechtsinstitut zwangsbeglücken, sondern schützt ihr Vertrauen, nicht mit fremden Rechtsinstituten behelligt zu werden. Umgekehrt folgt aus der Regelung, dass ein Versorgungsausgleich bei Anwendbarkeit deutschen Rechts auf die Scheidung immer dann von Amts wegen durchzuführen ist, wenn einer der Ehegatten Deutscher ist.

 

Rz. 84

 

Beispiel

Der Deutsche M und die Philippina F leben in Hamburg. Wollen sie sich scheiden lassen, richten sich die Zulässigkeit der Scheidung und ihre Voraussetzungen nach deutschem Recht (vgl. Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010), Damit richtet sich auch der Versorgungsausgleich nach deutschem Recht (Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB). Das Heimatrecht des M ist das deutsche Recht. Also kennt auch eines der Heimatrechte der Ehegatten das Rechtsinstitut des Versorgungsausgleichs.

 

Rz. 85

 

Beispiel

Das schweizerische Ehepaar M und F lebt in Mainz. Art. 8 Buchst. a führt in diesem Fall wegen des gewöhnlichen Aufenthaltes des Paares in Deutschland zum deutschen Recht für die Scheidung und den Versorgungsausgleich (Art. 17 Abs. 3 Satz 1 EGBGB). Das schweizerische Recht kennt einen dem deutschen Recht ähnlichen Versorgungsausgleich (vgl. Rdn 90). Deswegen ist in dem Fall ein Versorgungsausgleich von Amts wegen nach deutschem Recht durchzuführen. Eine Wahlmöglichkeit, wie sie vor Inkrafttreten des Ausführungsgesetzes zur Rom III VO noch bestand, gibt es heute nicht mehr.

 

Rz. 86

 

Beispiel

Der Tunesier M und die Bosnierin F wollen sich in Frankfurt scheiden lassen, wo sie die letzten zehn Jahre gelebt haben. In diesem Fall ist mangels Rechtswahl das auf die Scheidung und damit auch auf den Versorgungsausgleich anzuwendende Recht zwar nach dem Ort des gewöhnlichen Aufenthalts der Eheleute in Frankfurt deutsches Recht (Art. 17 Abs. 3 Satz 1, Art. 8 Buchst. a VO 1259/2010). Weder das tunesische noch das bosnische Recht kennen aber das Rechtsinstitut des Versorgungsausgleichs. Ein Versorgungsausgleich soll den Eheleuten deswegen nicht aufgezwungen werden; er findet deswegen grds. nicht statt.

 

Rz. 87

Die Regelung bedeutet im Ergebnis, dass ein Versorgungsausgleich jedenfalls in jedem Fall stattzufinden hat, in dem (mindestens) einer der Ehegatten Deutscher ist; denn das deutsche Recht kennt (natürlich) den Versorgungsausgleich.

 

Rz. 88

Um zu ermitteln, ob ein ausländisches Recht den Versorgungsausgleich kennt, ist dieser zu qualifizieren: Es reicht, dass das ausländische Recht ein Rechtsinstitut enthält, durch welches ein Ehegatte unmittelbar an der Altersversorgung seines Partners teilhat, wenn die Ehe geschieden wird. Dabei braucht der Versorgungsausgleich nicht in der Weise ausgestaltet sein, dass eine reale Teilung von Anrechten oder ein sonstiger öffentlich-rechtlicher Ausgleich stattfindet. Es reicht, dass der andere Ehegatte in einer Weise beteiligt wird, die wir innerstaatlich als schuldrechtlichen Versorgungsausgleich einordnen würden.[28] Dabei muss das ausländische Recht allerdings auch ausländische Anrechte berücksichtigen, v.a. auch deutsche Anrechte.[29]

 

Rz. 89

Eine andere Art der Beteiligung an der Versorgung des ehemaligen Partners reicht nicht aus, um anzunehmen, dass das ausländische Recht den Versorgungsausgleich kennt. Nicht ausreichend sind v.a. die Existenz einer Geschiedenenwitwenrente oder das Vorhandensein einer staatlichen, aus Steuermitteln finanzierten Volksrente.[30] Das Gleiche gilt für güterrechtlich einzuordnende Ausgleichsinstrumente.

 

Rz. 90

Den Versorgungsausgleich in diesem Sinne kennen nur sehr wenige Staaten, nämlich

Deutschland,
die Schweiz und
Kanada.
 

Rz. 91

Für die Niederlande ist die Kenntnis des Versorgungsausgleichs streitig;[31] der BGH nimmt jedoch an, dass die im niederländischen Recht vorhandenen Regelungen nicht dazu ausreichen um anzunehmen, dass das niederländische Recht einen Versorgungsausgleich kennt.[32] In Polen kann eine Art von Aufteilung von Versorgungsanrechten seit 2008 vereinbart werden (ähnlich wie ein Wahlgüterstand). Es spricht deswegen – abweichend vom früheren Rechtszustand – einiges dafür anzunehmen, dass auch das polnische Recht einen Versorgungsausgleich kennt.

[29] BGH FamRZ 2009, 681, 682; PWW/Martiny, Art. 17 EGBGB Rn 20.
[30] Ruland, Rn 115.
[31] Die Kenntnis des Versorgungsausgleichs im niederländischen Recht bejaht Ruland, Rn 116.
[32] BGH FamRZ 2009, 681, 682; FamRZ 2009, 677, 679.

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge