Rz. 143
Ein Fristverlängerungsanspruch des Auftragnehmers ist dann gegeben, wenn neben der Behinderung auch festgestellt werden kann, dass diese gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 VOB/B verursacht ist:
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durch einen Umstand aus dem Risikobereich des Auftraggebers, |
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durch Streik oder eine von der Berufsvertretung der Arbeitgeber angeordnete Aussperrung im Betrieb des Auftragnehmers oder in einem unmittelbar für ihn arbeitenden Betrieb, |
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durch höhere Gewalt oder andere für den Auftragnehmer unabwendbare Umstände. |
Rz. 144
Aus dieser Aufzählung wird deutlich, dass es für den Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen nicht darauf ankommt, ob die Umstände, die zu der Behinderung führen, einer der Vertragsparteien vorwerfbar sind. Ein Verschulden ist nur beim Schadensersatzanspruch gem. § 6 Abs. 6 VOB/B Voraussetzung. Der Bauzeitverlängerungsanspruch und der Schadensersatzanspruch wegen Verzuges haben daher unterschiedliche Voraussetzungen.
Rz. 145
Eine Verlängerung der Ausführungsfristen kann schon dann vom Auftragnehmer beansprucht werden, wenn aus der Sphäre des Auftraggebers, zu der auch die von diesem beauftragten weiteren Auftragnehmer, die Beschaffenheit des Grundstücks des Auftraggebers und sämtliche Mitwirkungshandlungen des Auftraggebers zählen, herrührt.
Rz. 146
Neben diesen Umständen kommen darüber hinaus gem. § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) und c) VOB/B weitere Umstände in Betracht, wobei hier die Umstände zum Tragen kommen, die für den Auftragnehmer unabwendbar sind. Dabei sind als besondere Umstände genannt der Streik bzw. die Aussperrung im Betrieb des Auftragnehmers und die höhere Gewalt, d.h. Ereignisse, die auch durch die äußerste, billigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden konnten, soweit diese für die Behinderung ursächlich sind. § 6 Abs. 2 Nr. 1 lit. b) und c) VOB/B erweitern daher die Sphäre des Auftraggebers im Sinne einer Risikozuweisung um die Tatbestände des Streiks und der Aussperrung sowie der höheren Gewalt oder anderer unabwendbarer Umstände.
Rz. 147
Zusammengefasst sind im Folgenden Behinderungen, die der Risikosphäre des Auftraggebers zuzuordnen sind:
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verspätete Bereitstellung der Pläne durch den Auftraggeber oder seinen Planer oder Objektüberwacher als Erfüllungsgehilfen gem. § 278 BGB; |
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fehlende Baugenehmigung, wenn der Auftraggeber diese nicht rechtzeitig beantragt oder die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig eingereicht hat; |
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Behinderung durch den Nachbarn oder sonstige Dritte, wenn diese Störungen dem Risikobereich des Auftraggebers zuzuordnen sind und er dagegen keine hinreichenden Vorkehrungen getroffen hat (Auftraggeber muss baureifes Grundstück sowie, nach § 4 Abs. 4 VOB/B, notwendige Lager- und Arbeitsplätze zur Verfügung stellen und nach § 4 Abs. 1 VOB/B für die Aufrechterhaltung der allgemeinen Ordnung auf der Baustelle sorgen). |
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Behinderungen infolge von Leistungsänderungen oder Zusatzaufträgen, die auch aus unvollständigem Leistungsverzeichnis sowie aus veränderten Boden- und Wasserverhältnissen herrühren können. |
Rz. 148
Einen wichtigen Fall der höheren Gewalt können besondere Witterungsverhältnisse darstellen. Störende Witterungseinflüsse sind allerdings nur in Ausnahmefällen als Behinderung i.S.v. § 6 VOB/B anzusehen. Witterungseinflüsse während der Ausführungszeit, mit denen bei Abgabe des Angebots normalerweise gerechnet werden musste, gelten nicht als Behinderung (§ 6 Abs. 2 Nr. 2 VOB/B).
Rz. 149
Bei der Frage, mit welchen Witterungseinflüssen normalerweise gerechnet werden musste, wird eine Heranziehung des Durchschnitts der statistischen Daten der Wetterämter der letzten zehn bis 20 Jahre notwendig sein. Genauso können aber auch die tatsächlichen Gegebenheiten die entscheidende Rolle spielen. Eine genaue Festlegung der einzukalkulierenden Tage gibt die VOB/B daher nicht vor.
Rz. 150
Diese Beurteilung, die der Auftragnehmer im Rahmen der Kalkulation seines Angebots anstellen muss, wird umso schwieriger, je ungenauer die Festlegungen bezüglich der Bauzeit sind. Ist – wie das gem. § 5 Abs. 2 VOB/B möglich ist – der Baubeginn zeitlich offengelassen worden, so ist die Bestimmung der Witterungseinflüsse erheblich erschwert. In einem solchen Fall kann dem Auftragnehmer lediglich geraten werden, den Auftraggeber in Analogie zu § 5 Abs. 2 S. 1 VOB/B bereits vor Angebotsabgabe bzw. vor Vertragsschluss aufzufordern, ihm Auskunft über den voraussichtlichen Beginn zu erteilen.
Rz. 151
Sollten die Parteien eine bestimmte Anzahl von Ausfalltagen als nicht behindernde Umstände im Bauvertrag ausdrücklich definiert haben, stellt sich die Frage, wann eine Behinderungsanzeige notwendig ist, um eine Ausführungsfristverlängerung zu erhalten. Mit Sicherheit ist dies ab dem ersten Tag nach Ablauf der vereinbarten Ausfalltage notwendig. § 6 Abs. 1 S. 2 VOB/B könnte zudem so verstanden werden, dass der Auftragnehmer eine Behinderungsanzeige abgeben muss, um überhaupt Witterungseinflüsse als Behinderungen i.S.v. § 6 VOB/B geltend machen zu können, und sei ...