a) Erstarken des Vorerbenrechts
Rz. 120
Im Grundsatz gilt: Schlägt der Nacherbe die Erbschaft aus, so erstarkt die Vorerbenstellung des Vorerben im Zweifel zur Vollerbschaft gem. § 2142 Abs. 2 BGB.
b) Rechte der Ersatznacherben und Nachnacherben
Rz. 121
Eine Gegenleistung für die Ausschlagung dürfte für Vor- und Nacherben aber nur dann in Betracht kommen, wenn sicher ist, dass der Vorerbe tatsächlich gem. § 2142 Abs. 2 BGB Vollerbe wird und im Falle der Ausschlagung die Nacherbschaft nicht an einen Ersatznacherben fällt. Nach § 2104 S. 1 BGB würde ganz allgemein Folgendes gelten: Hat der Erblasser angeordnet, dass der Erbe nur bis zu dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses Erbe sein soll, ohne zu bestimmen, wer alsdann die Erbschaft erhalten soll, so ist anzunehmen, dass als Nacherben diejenigen eingesetzt sind, welche die gesetzlichen Erben des Erblassers sein würden, wenn er zur Zeit des Eintritts des Zeitpunkts oder des Ereignisses gestorben wäre. Aber § 2142 Abs. 2 BGB ist im Verhältnis zu § 2104 BGB lex specialis, so dass die speziellere Regelung der allgemeinen vorgeht.
Rz. 122
Das Recht des Vorerben erstarkt jedoch gem. § 2142 Abs. 2 Alt. 2 BGB dann nicht zum Vollrecht, wenn der Erblasser etwas anderes bestimmt hat. Eine andere Bestimmung in diesem Sinne kann in zwei Alternativfällen vorliegen:
(1) |
Die Einsetzung von Ersatznacherben. |
(2) |
Die Anordnung einer gestaffelten Nacherbeneinsetzung (Nach-Nacherbeneinsetzung). |
Rz. 123
Ausschlaggebend für den Eintritt der Ersatznacherbfolge ist der Zeitpunkt des Nacherbfalls, entsprechend der Ersatzerbfolge bei Eintritt des Erbfalls. Im Falle einer Erbausschlagung ist deshalb zu prüfen, ob sich aus der Verfügung von Todes wegen eine Ersatzerbeinsetzung (auch durch Auslegung) ergibt, oder ob die gesetzliche Ersatzerbenregelung aus der Ergänzungsvorschrift des § 2069 BGB greift. Die gesetzliche Ergänzungsregel von § 2069 BGB, wonach bei Einsetzung eines Abkömmlings durch den Erblasser im Falle dessen Wegfalls im Zweifel dessen Abkömmlinge entsprechend gesetzlicher Erbfolgeregel bedacht sind, findet dann keine direkte Anwendung, wenn ein Erblasser keine Abkömmlinge zu Nacherben eingesetzt hat.
Rz. 124
Die obergerichtliche Rechtsprechung verneint auch eine analoge Anwendung von § 2069 BGB, wenn ein Erblasser andere Verwandte als Abkömmlinge zu Erben eingesetzt hat.
Die Rechtsprechung wendet die Auslegungsregel des § 2069 BGB im Falle der Ausschlagung seitens eines Nacherben, der gem. § 2306 BGB sich damit den Pflichtteilsanspruch eröffnet. Eine hypothetische Auslegung der betreffenden Verfügung von Todes wegen führe in der Regel dazu, dass der mutmaßliche Erblasserwille eine Doppelbegünstigung eines Kindesstammes vermeiden wolle – nicht Pflichtteil und Nacherbfolge zusätzlich.
Rz. 125
Schlagen nur einzelne von mehreren berufenen Nacherben die Nacherbschaft aus, so ist zu klären, ob die Erbteile der Ausschlagenden den verbleibenden Nacherben anwachsen oder ob eine Ersatznacherbfolge eintritt. Gemäß § 2099 BGB geht das Recht der Ersatzerben der Anwachsung vor. Es ist deshalb bei der Auslegung einer letztwilligen Verfügung vorweg zu prüfen und festzustellen, ob Ersatzerben (§ 2096 BGB) in Betracht kommen.
Andererseits geht das Anwachsungsrecht dem Recht des Vorerben aus § 2142 Abs. 2 BGB vor, so dass im Falle einer Anwachsung das Recht des Vorerben nicht zur Vollerbschaft erstarkt. Da gemäß § 2102 Abs. 1 BGB in jeder Nachnacherbfolge zugleich auch eine Ersatznacherbfolge liegt, bedarf es auch der Mitwirkung aller weiteren Nachnacherben.
Rz. 126
Das bedeutet, dass der Vorerbe nur dann Vollerbe wird, wenn alle Nacherben einschließlich der Ersatznacherben die Nacherbschaft ausschlagen.
Sind Ersatznacherben vorhanden, so geht gem. § 1953 BGB mit Eintritt des Nacherbfalls die Erbschaft an den Ersatznacherben über.
Daher müssen im Falle der Ausschlagung nicht nur alle Nacherben, sondern auch Ersatznacherben und Nachnacherben ebenfalls die Ausschlagung erklären, um dem Vorerben dauerhaft rechtssicher die Stellung eines unbeschränkten Vollerben zukommen zu lassen. Aus diesen Gründen wird in der Praxis ist die Ausschlagungsvariante nur selten eine taugliche Konstruktionsvariante zur rechtssicheren Beendigung der nacherbschaftlichen Bindung des Vorerben sein.
c) Verjährung des Pflichtteilsanspruchs des Nacherben
Rz. 127
Gem. § 2332 Abs. 2 BGB verjährt der Pflichtteil trotz Nichtanlaufens der Aussch...