Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 114
Kündigungssachverhalte, die gleichzeitig zwei oder drei der in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG genannten Kündigungsgründe betreffen, werden als sog. echte Mischtatbestände bezeichnet. Wegen der unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen ist eine zutreffende Einordnung der Kündigung in eine dieser Fallgruppen zwar wichtig, aber häufig nicht einfach durchzuführen. Davon zu unterscheiden sind sog. unechte Mischtatbestände. In diesen Fällen wird die Kündigung auf mehrere Sachverhalte gestützt, die voneinander unabhängig sind und verschiedenen Kündigungsgründen zugeordnet werden können.
a) Echte Mischtatbestände
Rz. 115
Bei echten Mischtatbeständen grenzt das BAG nach der sog. Sphärentheorie in erster Linie danach ab, welcher der vorliegenden Kündigungstatbestände sich am stärksten nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (BAG v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713; BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 271; im Einzelnen und zur Kritik vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 255). Es ist mithin zu prüfen, ob der Kündigungssachverhalt der Sphäre des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers zuzuordnen ist (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 271).
Rz. 116
Führt bspw. eine Umstrukturierung dazu, dass ein unter gesundheitlichen Einschränkungen leidender Arbeitnehmer nur noch in einer Weise beschäftigt werden kann, die seine Krankheit verschlimmert, liegt ein betriebsbedingter und kein personenbedingter Kündigungsgrund vor (BAG v. 6.11.1997 – 2 AZR 94/97, NZA 1998, 143). Dasselbe gilt, wenn aufgrund der technischen Entwicklung bestimmte Arbeiten überflüssig werden, und zwar auch dann, wenn ältere Arbeitnehmer wegen mangelnder Fähigkeiten nicht eingearbeitet werden können (BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 49/96, RzG I 5 c, Rn 82).
Rz. 117
Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Zuordnung insb. bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungsursachen im Hinblick auf die Frage, ob eine einschlägige Abmahnung vor Ausspruch einer Kündigung erforderlich war.
b) Unechte Mischtatbestände
Rz. 118
Bei sog. unechten Mischtatbeständen, bei denen mehrere voneinander unabhängige Vertragsstörungen bestehen (bspw. Krankheit, vertragswidriges Verhalten sowie betriebsbedingte Gründe), ist nach der Rspr. des BAG jeder Sachverhalt zunächst für sich allein im Hinblick darauf zu prüfen, ob er zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung geeignet ist. Lässt sich nach diesem ersten Prüfungsschritt eine soziale Rechtfertigung nicht feststellen, prüft das BAG in einem weiteren Schritt, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit und unter Abwägung der Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen (BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, EzA § 1 KSchG, verhaltensbedingte Kündigung, Rn 52). Trotz der Kritik, die diese Rspr. erfahren hat (vgl. insb. Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigungsschutz, Rn 927; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 95; Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31, 33; zum Meinungsstand in der Literatur i.Ü. vgl. auch KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 258 f.), hat das BAG in seiner Entscheidung v. 20.11.1997 an dieser Rspr. festgehalten.