Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
a) Sperrfrist
Rz. 886
Hat der Arbeitgeber anzeigepflichtige Entlassungen i.S.d. § 17 Abs. 1 KSchG der für den Betriebssitz zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt, tritt nach dem gesetzlichen Regelfall, § 18 Abs. 1 KSchG, eine einmonatige Entlassungssperre ein. Der Lauf der Sperrfrist beginnt ab Eingang der Anzeige, jedoch nur, wenn eine ordnungsgemäße Anzeige gem. den gesetzlichen Vorgaben in § 17 Abs. 2–3a KSchG vorliegt. Während der Sperrfrist werden die Entlassungen nur wirksam, wenn die Agentur für Arbeit hierzu die Zustimmung erteilt, was auch rückwirkend bis zur Antragstellung geschehen kann, § 18 Abs. 1 KSchG.
Rz. 887
Zu welchen Konsequenzen die Entlassungssperre nach dem richtlinienkonformen Verständnis des Entlassungsbegriffes führt, wird unterschiedlich beurteilt (vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 18 KSchG Rn 33a). Ruft man sich die arbeitsmarktpolitische Zielsetzung der §§ 17 ff. KSchG in Erinnerung, spricht viel dafür, dass der Arbeitsverwaltung eine Zeitspanne zur Verfügung stehen soll, in der sie sich auf die Massenentlassungen "einstellen" kann. Das aber kann bereits dadurch erreicht werden, dass die nach Eingang der Massenentlassungsanzeige auch während der Sperrfrist rechtswirksam erklärten Kündigungen jedenfalls nicht während des Laufes der Sperrzeit infolge des Ablaufs der Kündigungsfrist ihre Beendigungswirkung entfalten und zur Belastung des Arbeitsmarktes führen. Im Ergebnis stellt sich die einmonatige Sperrfrist als Mindestzeitraum dar, der zwischen Eingang der Massenentlassungsanzeige und der durch die Kündigung herbeigeführten Beendigung des Arbeitsverhältnisses liegen soll (so zutreffend Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 18 KSchG Rn 33a). Auch das BAG hat sich dieser Sichtweise angeschlossen und klargestellt, dass die Sperrzeit nicht etwa dem Ausspruch von Kündigungen entgegensteht (BAG v. 6.11.2008 – 2 AZR 935/07, DB 2009, 515). Liegt es mithin so, dass sowohl die Entlassungen (Kündigungen) als auch der Ablauf der Kündigungsfristen in die Sperrfrist fallen, und ist die Zustimmung der Agentur für Arbeit zum "Wirksamwerden" der Entlassungen nicht erteilt, ist die auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Gestaltungswirkung der Kündigung bis zum Ablauf der Sperrfrist gehemmt. Der Wirkung nach wird also die Kündigungsfrist "verlängert" mit der Folge, dass die wechselseitigen Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis für die Zeit der "Verlängerung" fortbestehen und der Arbeitgeber in Annahmeverzug geraten kann, wenn er den zur Arbeit bereiten Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht weiterbeschäftigt. Der Arbeitnehmer kann sich aber auch dafür entscheiden, zu dem an sich gesperrten Kündigungstermin aus dem Arbeitsverhältnis auszuscheiden. Er ist nicht etwa gezwungen bis zum Ende der Sperrfrist das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, denn der Massenentlassungsschutz greift nicht in seine Dispositionsfreiheit, sondern nur in die des Arbeitgebers ein (vgl. auch Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, § 18 KSchG Rn 35).
Rz. 888
Hinweis
Führen anzeigepflichtige Entlassungen (Kündigungen) dazu, dass der Ablauf der Kündigungsfristen in die Sperrfrist fällt, ist es zweckmäßig, schon mit der Anzeige an die Agentur für Arbeit deren Zustimmung zu beantragen, dass die angezeigten Entlassungen vor Ablauf der Sperrfrist wirksam werden. Die Beantragung der Aufhebung der Entlassungssperre jedenfalls für einzelne Arbeitnehmer ist insbesondere dann sinnvoll, wenn sich diese noch in der Probezeit nach § 622 Abs. 3 BGB befinden und mit einer zweiwöchigen Frist gekündigt werden können.
Rz. 889
Die Agentur für Arbeit kann die Folgen der gesetzlichen Entlassungssperre nicht nur aufheben, indem sie die Zustimmung zum Wirksamwerden der Entlassungen während der Sperrzeit erteilt; sie kann auch verschärfend eingreifen und im Einzelfall anordnen, dass die Entlassungssperre bis zu zwei Monaten ausgedehnt wird, § 18 Abs. 2 KSchG.
b) Kurzarbeit
Rz. 890
Schließlich kann die BA die Auswirkungen der gesetzlichen und der verlängerten Entlassungssperre dadurch abmildern, dass sie die Einführung von Kurzarbeit bis zum Ende der Entlassungssperre zulässt, wenn der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, die Arbeitnehmer während dieser Zeit voll zu beschäftigen, § 19 Abs. 1 KSchG. Zu beachten ist allerdings, dass tarifvertragliche Bestimmungen über die Einführung, das Ausmaß und die Bezahlung von Kurzarbeit vorrangig gelten, § 19 Abs. 3 KSchG.
Rz. 891
Die Einführung von Kurzarbeit nach § 19 KSchG erfordert eine positive Entscheidung (Zulassung) der Bundesagentur für Arbeit, die diese nach pflichtgemäßem Ermessen trifft. Die Bundesagentur für Arbeit hat bei ihrer Entscheidung die Voraussetzungen des § 19 KSchG zu beachten. D.h., für eine Zulassung von Kurzarbeit nach § 19 KSchG muss eine Massenentlassung im Sinne des § 17 Abs. 1 KSchG vorliegen, die wirksam angezeigt wurde. Außerdem muss für den Arbeitgeber eine Entlassungssperre nach § 18 Abs. 1 oder Abs. 2 KSchG bestehen. Ohne eine Sperrfrist oder außerhalb einer Sperrfrist gibt es keine Zulassung der Kurzarbeit dur...