Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 490
Zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers kommen typischerweise als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht. Begeht der Arbeitnehmer bei oder im Zusammenhang mit seiner Arbeit rechtswidrige und vorsätzliche – ggf. strafbare – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen seines Arbeitgebers, verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme § 241 Abs. 2 BGB und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen. Entwendet also ein Arbeitnehmer eine Sache, die im Eigentum des Arbeitgebers steht, stellt dies prinzipiell einen wichtigen Grund zu einer außerordentlichen Kündigung dar (BAG v. 10.2.1999, AP Nr. 42 zu § 15 KSchG; BAG v. 11.12.2003, NZA 2004, 486; BAG v. 13.12.2007, NJW 2008, 2732 f.). Ein fristloser Kündigungsgrund setzt dabei nicht zwingend voraus, dass der Arbeitnehmer die Sache unmittelbar an seinem Arbeitsplatz entwendet hat. Eine ordentliche Kündigung ist nach der Rspr. des BAG auch gerechtfertigt, wenn eine Arbeitnehmerin in einem anderen, aber zum gleichen Konzern gehörenden Warenhaus, in dem ihr ein Personalrabatt eingeräumt wird, Waren im Wert von ca. 70,00 DM gestohlen hat (BAG v. 20.9.1984, NZA 1985, 285). Der Annahme einer schwerwiegenden Pflichtverletzung steht ferner nicht entgegen, wenn der Arbeitnehmer diese anlässlich eines privaten, außerhalb der Arbeitszeit liegenden Einkaufs begeht, bspw. wenn der Arbeitnehmer in Bereicherungsabsicht bestimmungswidrig Rabatt-Coupons einlöst und sich damit einen Vermögensvorteil von 60 EUR verschafft (BAG v. 16.12.2010 – 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571, 572). Ein Arbeitnehmer ist gem. § 241 Abs. 2 BGB auch insoweit verpflichtet, auf die berechtigten Interessen seines Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen (BAG v. 16.12.2010 – 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571, 572).
Rz. 491
Entwendet der Arbeitnehmer während eines Kundenbesuches Sachen, die dem Kunden gehören, ist dies ebenfalls als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung anzusehen (LAG Köln v. 11.8.1998, NZA-RR 1999, 415). Auch der Diebstahl zum Nachteil eines Arbeitskollegen stellt einen wichtigen Grund für eine außerordentlichen Kündigung dar (BAG v. 20.9.1984, AP Nr. 80 zu § 626 BGB; BAG v. 27.3.2003, AP Nr. 36 zu § 87 BetrVG 1972 Überwachung; LAG Köln v. 12.3.2002, NZA-RR 2002, 519).
Rz. 492
Ein Diebstahl – oder ein anderes Vermögensdelikt – kann auch dann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 2 BGB darstellen, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 537/06, NJW 2008, 2732; BAG v. 12.8.1999, NJW 2000, 1969; BAG v. 13.12.1984, NZA 1985, 288).
So wurde bspw. in der Vergangenheit entschieden, dass auch die in einem Kaufhaus als Buffetkraft an einem Imbissstand tätige Mitarbeiterin, die aus der Kuchentheke einer anderen Abteilung ein Stück Bienenstich entwendet und sofort verzehrt hat, grds. fristlos gekündigt werden kann, wenn nicht die Umstände des Einzelfalles und die vorzunehmende Interessenabwägung eine ordentliche Kündigung als zumutbar erscheinen lassen (BAG v. 17.5.1984, AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 20.9.1984, NJW 1985, 1852–1853; BAG v. 15.11.1984, AP Nr. 80, 87 zu § 626 BGB; LAG Düsseldorf v. 17.10.1984, LAGE § 626 BGB Nr. 17).
Das Gleiche gilt für die Entwendung geringwertiger Sachen in einem anderen Geschäftsbetrieb des gleichen Arbeitgebers: Auch in einem solchen Fall kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorliegen (BAG v. 20.9.1984 – 2 AZR 633/82, NZA 1985, 286 = DB 1985, 655). In dem entschiedenen Fall hatte die in einem Versandhaus als Sachbearbeiterin tätige Mitarbeiterin in einem anderen Warenhaus des Arbeitgebers Kiwifrüchte im Gesamtwert von etwa 3,00 DM gestohlen. Das BAG führte aus, die Arbeitnehmerin sei verpflichtet, auch außerhalb des Beschäftigungsbetriebes das zum Unternehmen des Arbeitgebers gehörende Vermögen nicht zu schädigen
Das BAG hat im sog. Emmily-Urteil ausgeführt, dass an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist (BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227). Die entgegenstehende Ansicht, die Pflichtverletzungen im Vermögensbereich bei Geringfügigkeit bereits aus dem Anwendungsbereich des § 626 Abs. 1 BGB herausnehmen wolle (LAG Köln v. 30.9.1999, NZA-RR 2001, 83; LAG Hamburg v. 8.7.1998, NZA-RR 1999, 469; ArbG Reutlingen v. 4.6.1996, RzK I 6 d Nr. 12) überzeuge nicht. Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletze, zeige ein Verhalten, das geeignet sei, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung infrage zu stellen (BAG v. 10.6.2010 – 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227, 1230). Die durch ein solches Verhalten ausgelöste "Erschütterung" der Vertrauensgrundlage, die für die Vertragsbeziehung notwendig sei, trete unabhängig