Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1278
Eine Kündigung erfolgt gem. § 613a Abs. 4 S. 1 BGB wegen eines Betriebsüberganges, wenn dieser der tragende Grund und nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. § 613a Abs. 4 BGB hat ggü. § 613a Abs. 1 BGB eine Komplementärfunktion. Abs. 4 soll verhindern, dass der in Abs. 1 des § 613a BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird. Die Vorschrift enthält ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.d. §§ 13 Abs. 3 KSchG, 134 BGB und beinhaltet nicht bloß den besonderen Fall der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285). Das Kündigungsverbot greift nicht ein, wenn es einen sachlichen Grund gibt, der aus sich heraus geeignet ist, die Kündigung zu rechtfertigen (BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027). Der Betriebsinhaber ist durch § 613a Abs. 4 S. 1 BGB nicht gehindert, auch im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebes Rationalisierungsmaßnahmen, Stilllegungsmaßnahmen oder andere Personalanpassungsmaßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Betriebes durchzuführen und aus diesen Gründen betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen (BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148).
Rz. 1279
Das BAG hat in der Vergangenheit den Anwendungsbereich des § 613a Abs. 4 BGB zur Vermeidung von Umgehungsgeschäften ausgedehnt. Es muss aber gesehen werden, dass § 613a Abs. 4 BGB an fest umschriebene objektive und subjektive Tatbestandsvoraussetzungen anknüpft, die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung vorliegen müssen. Es muss objektiv ein Betriebsübergang vorliegen, der bereits bei Ausspruch der Kündigung feststehen oder zumindest "greifbare Formen" angenommen haben muss (BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720). Kommt es tatsächlich nicht zu einem Betriebsübergang, kann § 613a Abs. 4 BGB nicht zur Anwendung kommen.
Rz. 1280
Subjektiv wird eine Kündigung wegen eines Betriebsüberganges nur dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang nicht nur äußerer Anlass, sondern das Motiv für die Kündigung war, weil ein Übernahmeangebot vorlag und der potenzielle Erwerber bspw. bestimmte Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigen wollte.
Rz. 1281
Ist der Betriebsinhaber entschlossen, den Betrieb nicht mehr fortzuführen, wird er regelmäßig nach interessierten Betriebserwerbern Ausschau halten. Ergeben sich keine konkreten Angebote, kann er den Betrieb stilllegen, ohne sich der Möglichkeit einer Betriebsveräußerung zu verschließen, falls sich wider Erwarten doch noch eine Gelegenheit dazu ergibt. Der Stilllegungsentschluss ist eine innere Tatsache, die anhand äußerer Merkmale nur begrenzt verifiziert werden kann. Nach Auffassung des BAG ist unter Betriebsstilllegung zu verstehen:
Zitat
"Die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernsthaften Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen" (BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, ZIP 1997, 122, unter II 1 der Gründe).
Rz. 1282
Der Arbeitgeber muss mit dem Ausspruch der Kündigung nicht bis zum Vollzug der Betriebsstilllegung warten, sondern er kann auch wegen einer beabsichtigten Stilllegung kündigen, wenn absehbar ist, dass bei Ablauf der Kündigungsfristen kein Beschäftigungsbedarf mehr besteht (BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285).