Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1250
Der Wiedereinstellungsanspruch ist auf die Wiederbegründung oder Fortsetzung des ursprünglich bestandenen Arbeitsverhältnisses gerichtet, nicht etwa auf die Rücknahme der Kündigung. Das alte Arbeitsverhältnis ist aufgrund wirksamer Kündigung beendet. Deshalb bedarf es einer neuen Vereinbarung über die Fortführung des bereits beendeten Arbeitsverhältnisses oder die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses zu den vorher bestandenen Bedingungen. Begrifflich wird von einem Fortsetzungsanspruch gesprochen, wenn der Arbeitnehmer bei nachträglichem Wegfall des Kündigungsgrundes noch während des Laufs der Kündigungsfrist seine Weiterbeschäftigung verlangt oder Wiedereinstellung begehrt (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162; Raab, RdA 2000, 157). Die terminologische Unterscheidung hat nur akademische Bedeutung. In der Sache geht es darum, durch eine Vereinbarung die wirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufzuheben. Die Situation ist mit der Rücknahme der Kündigung durch den Arbeitgeber vergleichbar: Nimmt der Arbeitgeber die Kündigung zurück, kann darin ein Angebot auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erblickt werden. Falls sich aus den Umständen nichts anderes ergibt, kann der Annahme des Angebotes nach Ablauf der Kündigungsfrist rückwirkende Kraft beigemessen werden.
Rz. 1251
Verlangt der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Kündigungsfrist seine Wiedereinstellung zu den früheren Bedingungen, kommt die Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses zu dem Zeitpunkt in Betracht, zu dem der Arbeitnehmer sein Fortsetzungsverlangen gestellt hat (ähnlich Raab, RdA 2000, 157). Insb. in Zusammenhang mit einem Betriebsübergang während oder nach Ablauf der Kündigungsfrist ist ein entsprechendes Begehren ggü. dem neuen Betriebsinhaber denkbar (vgl. auch BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162; Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1129 f.). Weigert sich der Arbeitgeber, das Wiedereinstellungsangebot des Arbeitnehmers anzunehmen, stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer die Wiedereinstellung stets nur für die Zukunft oder auch rückwirkend verlangen kann.
Rz. 1252
Nach § 306 BGB a.F. war die Verurteilung zur Eingehung eines rückwirkenden Vertragsverhältnisses ausgeschlossen. Diese Rechtslage hat sich mit der Einführung des § 311a Abs. 1 BGB durch die Schuldrechtsreform geändert. Der rückwirkende Abschluss eines Vertrags ist in Abweichung zur früheren Rechtslage nicht mehr nichtig. Damit ist auch eine entsprechende Verurteilung möglich (BAG v. 27.4.2004 – 9 AZR 522/03, NZA 2004, 1225; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162; BAG v. 24.4.2013 – 7 AZR 754/10, NZA-RR 2014, 532; BAG v. 19.8.2015 – 5 AZR 975/13, NJW 2015, 3678). Dieses Ergebnis lässt sich mit folgender Überlegung stützen (vgl. auch schon Raab, RdA 2001, 249): Begreift man den Wiedereinstellungsanspruch als Schadensersatzanspruch, geht es darum, den Gläubiger hinsichtlich der Rechtsfolgen so zu stellen, als wenn der Schuldner die ihm obliegende Leistung, nämlich die Annahme des Angebotes auf Fortsetzung oder Wiederbegründung des Arbeitsverhältnisses rechtzeitig abgegeben hätte. Mit der rückwirkenden Begründung eines Arbeitsverhältnisses soll der Arbeitnehmer so gestellt werden, wie er stehen würde, wenn der Arbeitgeber sich nicht gesträubt, sondern die vom Arbeitnehmer gewünschte Vereinbarung rechtzeitig geschlossen hätte. Eine andere Frage ist, ob es dem Arbeitgeber auch obliegt, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum anzunehmen (dazu BAG v. 27.1.2016 – 5 AZR 9/15, NZA 2016, 691 unter A I 3 b der Gründe).