Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1286
Der 8. Senat hat in einigen Entscheidungen (BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; BAG v. 12.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29; s.a. BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162) einen Wiedereinstellungsanspruch auch bei einem Betriebsübergang nach Ablauf der Kündigungsfrist ausnahmsweise bejaht. Relevant wird diese Rspr. vor allem dann, wenn der Auftragsnachfolger die Hauptbelegschaft des früheren Arbeitgebers nach Ablauf der Kündigungsfristen übernimmt (s.a. Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1130; Oberhofer, RdA 2006, 94). Das BAG leitete den Wiedereinstellungsanspruch für diesen Fall aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 613a BGB ab. Hintergrund ist die Rechtsprechung des EuGH, wonach der Übergang der Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse gem. Art. 3 Abs. 1 der RL 2001/23/EG notwendigerweise zum Zeitpunkt des Überganges des Unternehmens erfolgt und nicht nach Gutdünken des Veräußerers oder des Erwerbers auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden kann (EuGH v. 14.11.1996 – Rs.C – 305/94, EzA § 613a BGB Nr. 144). Der Auftragsnachfolger soll den Betriebsübergang nicht dadurch verhindern können, dass er durch eine von ihm gesteuerte Entscheidung die Hauptbelegschaft erst nach Ablauf der Kündigungsfristen wieder einstellt und damit den Betriebsübergang zu einem Zeitpunkt auslöst, in dem die Arbeitsverhältnisse zu dem früheren Auftragnehmer nicht mehr bestehen. Die Ableitung des Wiedereinstellungsanspruches aus unionsrechtlichen Vorgaben erscheint nicht überzeugend, denn der EuGH hat in seiner Entscheidung v. 14.11.1996 – Rs.C – 305/94 (EzA § 613a BGB Nr. 144) lediglich den zwingenden Charakter der RL hervorgehoben und ausgeführt, von den Bestimmungen der RL dürfe nicht zum Nachteil der Arbeitnehmer abgewichen werden. Alle zum Zeitpunkt des Überganges bestehenden Arbeitsverhältnisse gingen automatisch auf den Erwerber über. Es stehe nicht zur Disposition der Betroffenen, den Zeitpunkt des Übergangs der Arbeitsverhältnisse nach vorn oder nach hinten zu verlegen. Damit ist im Kern nur die Aussage getroffen, dass die Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes auf den Betriebserwerber übergehen, sobald es zu einem Betriebsübergang kommt.
Rz. 1287
Unter dem Einfluss des EuGH hat das BAG seine Rspr. zum Betriebsbegriff geändert und judiziert nunmehr, dass auch die bloße Übernahme eines nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teiles der Belegschaft zu einem Betriebsübergang gem. § 613a BGB führt. Sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen müssen berücksichtigt werden, das sind namentlich:
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die Art des betreffenden Betriebs oder Unternehmens |
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die Übernahme materieller Betriebsmittel wie Gebäude und beweglicher Güter, |
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der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, |
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die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, |
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der etwaige Übergang der Kundschaft, |
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der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten, |
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die Dauer einer eventuellen Unterbrechung der Betriebstätigkeit. |
Rz. 1288
Die Frage eines Wiedereinstellungsanspruchs nach Ablauf der Kündigungsfrist kann nur einheitlich für alle Fälle eines Betriebsüberganges beantwortet werden. Wenn trotz vorübergehender Unterbrechung der Betriebstätigkeit ein Betriebsübergang vorliegen kann, muss nach dem Sinn und Zweck des § 613a BGB auch die Kontinuität der Arbeitsverhältnisse gewährleistet sein. Dies geschieht mit dem Instrument des Wiedereinstellungsanspruches, der rechtsdogmatisch über eine teleologische Extension des § 613a Abs. 4 BGB abgesichert wird (vgl. Raab, RdA 2000, 147, 159). Würde man lediglich auf den engen Wortlaut des § 613a Abs. 1 S. 1 BGB abstellen, wären nur die zum Zeitpunkt des Betriebsüberganges rechtlich noch bestehenden Arbeitsverhältnisse übergangsfähig. Dies würde einer Umgehung Tür und Tor öffnen, denn dann könnten Betriebsveräußerer und Erwerber durch eine vorübergehende Unterbrechung der Betriebstätigkeit nach Ablauf der Kündigungsfristen die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs gezielt verhindern. Abzustellen ist daher auf die nach unterbrochener Betriebstätigkeit fortbestehenden Arbeitsplätze, auf denen die wirksam gekündigten Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden könnten.
Rz. 1289
Für den Fall einer Insolvenzkündigung (dazu siehe Rdn 1291 ff.) hat der 8. Senat einen Wiedereinstellungsanspruch infolge eines vier Tage nach Ablauf der Kündigungsfrist erfolgten Betriebsüberganges abgelehnt (BAG v. 13.5.2004, BAGE 110, 336 = AP Nr. 264 zu § 613a BGB; BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 199/04, NZA 2005, 405; dazu Bichlmeier, DZWIR 2006, 89; Oberhofer, RdA 2006, 95;), später aber klargestellt (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 359; BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07, NZA 2009, 29), dass außerhalb der Insolvenz ein Wiedereinstellungsanspruch ggü. dem neuen Betriebserwerber jedenfalls dann bestehe, wenn der Betriebsübergang zwar nach dem Ablauf der Kündigungsfrist stattf...