Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 46
Auf die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG ist die Zeit eines vorangegangenen Ausbildungsverhältnisses anzurechnen (BAG v. 6.12.1976, DB 1977, 213; BAG v. 2.12.1999, AP Nr. 57, § 622 BGB in einem orbiter dictum). Dies dürfte auch aus § 10 Abs. 2 BBiG folgen, wonach auf den Berufsausbildungsvertrag die für den Arbeitsvertrag geltenden Vorschriften und Rechtsgrundsätze entsprechend anzuwenden sind (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 107; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 35). Infolgedessen hat ein Ausgebildeter, der im unmittelbaren Anschluss an seine Ausbildung übernommen wird, die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG regelmäßig erfüllt und genießt vom ersten Beschäftigungstag als Arbeitnehmer an Kündigungsschutz (BAG v. 12.12.1985 – 2 AZR 9/85, BB 1986, 1502 = DB 1986, 1926).
Rz. 47
Ein betriebliches Praktikum, welches der beruflichen Fortbildung dient, wird hingegen nur dann angerechnet, wenn es im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses abgeleistet wurde (BAG v. 18.11.1999 – 2 AZR 89/99, NZA 2000, 529; BAG v. 22.1.2004 – 2 AZR 237/03, AP Nr. 31 zu § 23 KSchG 1969). In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass gem. § 1 BBiG zwischen Berufsausbildung (Abs. 3), beruflicher Fortbildung (Abs. 4) und beruflicher Umschulung (Abs. 5) differenziert wird und § 10 Abs. 2 BBiG die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften nur auf Berufsausbildungsverhältnisse für anwendbar erklärt.
Rz. 48
Zeiten einer von der BA nach §§ 77 ff. SGB III geförderten Fortbildungsmaßnahme in einem Betrieb können ebenfalls nur dann angerechnet werden, wenn sie in einem Arbeitsverhältnis geleistet wurden (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 106).
Rz. 49
Die Tätigkeit im Rahmen einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme nach den §§ 260 ff. SGB III ist hingegen auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen (BAG v. 12.2.1981 – 2 AZR 1108/78, AP Nr. 1 zu § 5 BAT m. Amn. G. Hueck zur früheren Rechtslage unter §§ 91 ff. AFG). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich an die Arbeitsbeschaffungsmaßnahme ein auf unbestimmte Zeit abgeschlossenes Arbeitsverhältnis unmittelbar anschließt. Bei einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme besteht zwischen dem Unternehmen und dem Beschäftigten ein Arbeitsvertrag (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 108).
Rz. 50
Nicht berücksichtigt werden Zeiten, die als freier Mitarbeiter, Beamter oder Dienstnehmer geleistet wurden (Schaub/Linck, ArbRHB, § 130 Rn 22).
Rz. 51
Die Dauer der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer ist bei einem sich anschließenden Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher im Fall der erlaubten Arbeitnehmerüberlassung regelmäßig nicht auf die Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG anzurechnen, da in einem solchen Fall der Arbeitnehmer während des Entleihzeitraumes in einem Arbeitsverhältnis zum Verleiher stand (BAG v. 20.2.2014, 2 AZR 859/11, Rn 24; vgl. auch Löwisch, in: Löwisch/Spinner/Wertheimer, KSchG, § 1 Rn 63; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 107; ErfK/Oetker, § 1 KschG Rn 71; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 36; Schaub/Linck, ArbRHB, § 130 Rn 22). Dafür spricht zunächst der Wortlaut des Gesetzes. Für die Geltung des allgemeinen Kündigungsschutzes knüpft § 1 Abs. 1 KSchG an den – ununterbrochenen – rechtlichen Bestand eines Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber als Betriebsinhaber und nicht an eine tatsächliche Beschäftigung im Betrieb oder Unternehmen an (BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, Rn 24; BAG v. 24.1.2013 – 2 AZR 140/12, Rn 14; BAG v. 8.12.1988 – 2 AZR 308/88 – zu 3 b der Gründe, BAGE 60, 282). Aufgrund der Tätigkeit im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses entsteht kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher. Das folgt im Umkehrschluss aus § 9 AÜG.
Rz. 52
Für ein solches Normverständnis sprechen nach der Rechtsprechung des BAG auch Sinn und Zweck der Wartezeitregelung (BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, Rn 25). Im Rahmen erlaubter, den Erfordernissen des AÜG genügender Arbeitnehmerüberlassung ist der entliehende Arbeitnehmer zwar überwiegend dem Arbeitgeberdirektionsrecht, der Organisationshoheit und der Dispositionsbefugnis des Entleihers und Betriebsinhabers unterworfen. Dieser nimmt damit aber lediglich für einen Teilbereich die Funktionen eines Arbeitgebers wahr. Andere Funktionen wie die Zahlung des Lohnes, die Fortzahlung des Entgelts bei Krankheit und die Gewährung von Urlaub fallen hingegen typischerweise dem Verleiher zu. Soweit dem Leiharbeitnehmer in diesem Bereich Mitwirkungs- und Nebenpflichten obliegen, vermag der Entleiher regelmäßig nicht einzuschätzen, ob der Leiharbeitnehmer diese ordnungsgemäß erfüllt (BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, Rn 25). Fehlt diese Kenntnis, ist eine sachgerechte, dem Gesetzeszweck genügende Erprobung des Arbeitnehmers nicht möglich. Das gilt auch dann, wenn die Beschäftigung des Leiharbeitnehmers den Zweck hat, einen "in der Regel" vorhandenen Personalbedarf zu decken. Zwar werden Leiharbeitnehmer in derartigen Fällen bei der Berechnung der Betriebsgröße i.S.v. § 23 Abs. 1 KSchG mit (BAG v. 20.2.2014 – 2 AZR 859/11, Rn 25; BAG v. 24.1 2013 – 2 AZR 140/12, Rn 11 ff.) mitgezählt. Dies folgt aber aus d...