Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1264
Da der Wiedereinstellungsanspruch letztlich auf einer Abwägung der beiderseitigen Interessen gründet, ist immer zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist und welche berechtigten betrieblichen Interessen dem Weiterbeschäftigungsverlangen entgegenstehen. Liegen zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Gründe vor, welche die Kündigung gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial rechtfertigen, darf der Arbeitgeber darauf vertrauen, mit dem Ablauf der Kündigungsfrist von seinen Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis befreit zu sein. Nur wenn er noch keine Dispositionen getroffen hat, welche der Wiedereinstellung des gekündigten Arbeitnehmers entgegenstehen, kann er keinen Vertrauensschutz für sich reklamieren (BAG v. 27.2.1997 – 2 AZR 160/96, NZA 1997, 757; BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 360; Oberhofer, RdA 2006, 97). Sind die Arbeitsplätze inzwischen umgestaltet und z.B. auf EDV umgestellt worden, kann der Arbeitgeber nur bei entsprechender Qualifikation und Eignung des Arbeitnehmers zu seiner Wiedereinstellung verpflichtet sein. Ist die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen, wird der Arbeitgeber regelmäßig noch keine Dispositionen getroffen haben, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen. Er hat auch kein schützenswertes Interesse daran, den Wegfall des Kündigungsgrundes für sich auszunutzen und nunmehr jüngere Arbeitnehmer zu einem geringeren Lohn einzustellen. Anderes mag gelten, wenn er den Betrieb aufgrund hoher Verluste stillgelegt hat und aufgrund eines noch abzuwickelnden unerwarteten Auftrags einen Teil der Mitarbeiter weiterbeschäftigen kann. Macht er die Weiterbeschäftigung von der Hinnahme schlechterer finanzieller Bedingungen abhängig, kann dafür ein schützenswertes Interesse bestehen, wenn sich die eingetretenen Verluste sonst noch vergrößern würden.
Rz. 1265
Fraglich ist, ob der Arbeitgeber dem gekündigten Arbeitnehmer bevorzugt einen nachträglich frei gewordenen Arbeitsplatz anbieten muss oder ob er darüber im Rahmen seiner Vertragsfreiheit anderweitig disponieren kann. Das BAG bejaht grds. berechtigte Interessen des Arbeitgebers, die der Wiedereinstellung entgegenstehen, wenn er den unvorhergesehen frei gewordenen Arbeitsplatz schon wieder mit einem anderen Arbeitnehmer besetzt hat. Davon will das BAG eine Ausnahme machen, wenn der Arbeitgeber den Wegfall der in Betracht kommenden Beschäftigungsmöglichkeit treuwidrig herbeigeführt hat (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 360). Das BAG hält den Arbeitgeber daher grds. für verpflichtet, den gekündigten Arbeitnehmer bei der Besetzung eines nachträglich frei werdenden Arbeitsplatzes in die Auswahl einzubeziehen. Es muss aber gesehen werden, dass in diesen Fällen der ursprünglich bestandene Kündigungsgrund nicht wegfällt, sondern fortbesteht. Die Situation hat sich lediglich insoweit verändert, als der Arbeitgeber nunmehr die Möglichkeit hat, die Rechtsfolgen der Kündigung zu vermeiden, weil ein anderer Arbeitsplatz frei geworden ist. Es wird maßgeblich darauf ankommen, ob der Arbeitgeber bei Anlegung eines objektiven Maßstabs Dispositionen bzgl. des frei gewordenen anderweitigen Arbeitsplatzes getroffen hat, die eine Wiedereinstellung des gekündigten Arbeitnehmers nicht zulassen. Das BAG hat im Fall eines tarifvertraglichen Wiedereinstellungsanspruchs einen auf Wiedereinstellung gerichteten Schadensersatzanspruch angenommen, wenn der Arbeitgeber in Kenntnis des Wiedereinstellungsverlangens einen freien geeigneten Arbeitsplatz anderweitig besetzt hat (BAG v. 23.2.2000 – 7 AZR 891/98, NZA 2000, 894).