Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 157
Gem. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) klärt der Arbeitgeber mit dem Betriebs- oder Personalrat bzw. einer sonstigen zuständigen Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX), bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Soweit erforderlich wird gem. § 167 Abs. 2 S. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 2 SGB IX) der Werks- oder Betriebsarzt hinzugezogen. Der Betriebs- oder Personalrat (bzw. eine andere zuständige Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX; vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX), bei schwerbehinderten Menschen außerdem die Schwerbehindertenvertretung, können gem. § 167 Abs. 2 S. 6 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 6 SGB IX) auch initiativ die Klärung verlangen.
Rz. 158
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) setzt nach dem Zweck der Vorschrift allerdings nicht voraus, dass im Betrieb ein Betriebsrat besteht. Das betriebliche Eingliederungsmanagement ist auch dann durchzuführen, wenn keine betriebliche Interessenvertretung i.S.v. § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) gebildet ist (BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn 38; BAG v. 27.7.2011 – 7 AZR 402/10, Rn 62; BAG v. 30.9.2010 – 2 AZR 88/09, Rn 28, BAGE 135, 361). Nur wenn ein Betriebsrat oder eine andere in § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) genannte Interessenvertretung besteht, muss der Arbeitgeber diesen (oder diese) beteiligen.
Rz. 159
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist zudem nicht nur bei behinderten Arbeitnehmern, sondern bei allen Arbeitnehmern, bei denen die sonstigen Voraussetzungen des § 167 Abs. 2 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 SGB IX) vorliegen, durchzuführen (BAG v. 12.7.2007 – 2 AZR 716/06, EzA SGB IX § 84 Rn 3). Dies ergibt sich aus einem Vergleich des Wortlautes des § 167 Abs. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 1 SGB IX) mit demjenigen des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Nach § 167 Abs. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 1 SGB IX) ist bei den dort vorgesehenen Maßnahmen die für Schwerbehinderte und Gleichgestellte zuständige Schwerbehindertenvertretung einzuschalten. § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) sieht demgegenüber vor, dass die Schwerbehindertenvertretung neben den in § 176 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 93 SGB IX) genannten Vertretungen bei schwerbehinderten Beschäftigten außerdem zu beteiligen ist. Die Norm muss daher auch für andere, nicht schwerbehinderte Beschäftigte gelten. Ferner folgt auch aus der Gesetzesbegründung (BR-Drucks 746/03, 33 f.), dass es dem Gesetzgeber um eine allgemeine, nicht auf Schwerbehinderte beschränkte Gesundheitsprävention am Arbeitsplatz ging.
Rz. 160
Der Gesetzgeber hat mit der Verwendung des Begriffs "arbeitsunfähig" in § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) auf die zu § 3 Abs. 1 EFZG ergangene Begriffsbestimmung Bezug genommen und wollte keinen vom Entgeltfortzahlungsgesetz abweichenden eigenen Begriff mit anderen Merkmalen schaffen (BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn 41 zu § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX a.F.; BAG v. 13.3.2012 – 1 ABR 78/10, Rn 14, BAGE 141, 42). Die Definition des Entgeltfortzahlungsgesetzes entspricht grundsätzlich derjenigen der "Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses über die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und die Maßnahmen zur stufenweisen Wiedereingliederung nach § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 7 SGB V" (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie) (BAG v. 21.11.2018 – 7 AZR 394/17, Rn 41). Nach § 2 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn Versicherte aufgrund von Krankheit ihre zuletzt vor der Arbeitsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausführen können. Bei der Beurteilung ist nach § 2 Abs. 1 S. 2 der Richtlinie darauf abzustellen, welche Bedingungen die bisherige Tätigkeit konkret geprägt haben. Arbeitsunfähigkeit liegt gem. § 2 Abs. 1 S. 3 der Richtlinie auch vor, wenn aufgrund eines bestimmten Krankheitszustandes, der für sich allein noch keine Arbeitsunfähigkeit bedingt, absehbar ist, dass aus der Ausübung der Tätigkeit für die Gesundheit oder die Gesundung abträgliche Folgen erwachsen, die Arbeitsunfähigkeit unmittelbar hervorrufen (Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F vom 14.11.2013, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 27.1.2014 B4; Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie i.d.F vom 18.3.2021, veröffentlicht im Bundesanzeiger BAnz AT 15.4.2021 B3).
Rz. 161
Die Jahresfrist des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX (vor dem 1.1.2018: § 84 Abs. 2 S. 1 SGB IX) bezieht sich nicht auf das Kalenderjahr, sondern auf einen Zeitraum von 365 Tagen i....