Rz. 197

Im Zeitpunkt des Zugangs einer Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang begründen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 27; BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, NZA 2006, 655). Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen (BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 27). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 23; BAG v. 23.1.2014 – 2 AZR 582/13, Rn 32, BAGE 147, 162). Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen (BAG v. 25.4.2018 – 2 AZR 6/18, Rn 23). Da es hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose allein auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ankommt, können neue Umstände, die sich auf die weitere Entwicklung des Gesundheitszustandes auswirken, jedoch erst nach Zugang der Kündigung eintreten, nicht mehr berücksichtigt werden (BAG v. 6.9.1989 – 2 AZR 118/89, AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAG AP Nr. 36 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Infolgedessen sind etwa ein späterer Arztwechsel, der Beginn einer neuen Therapie, die Einnahme eines neuen Medikamentes oder die Durchführung einer vom Arbeitnehmer zunächst abgelehnten Operation sowie eine spätere Änderung der Lebensführung des Arbeitnehmers unerheblich.

 

Rz. 198

Krankheitsbedingte Fehlzeiten in der Vergangenheit sind jedoch nur insoweit für die Prognose heranzuziehen, als sie ein Indiz für das Risiko künftiger Erkrankungen darstellen können (BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Eine negative Gesundheitsprognose kann dabei auch getroffen werden, wenn der Arbeitnehmer in der Vergangenheit keine Fortsetzungserkrankungen i.S.d. § 3 Abs. 1 S. 2 EFZG erlitten hat (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 348).

 

Rz. 199

Erkrankungen in der Vergangenheit, die aufgrund ihrer Natur oder ihrer Entstehung keine Wiederholungsgefahr befürchten lassen, dürfen der negativen Gesundheitsprognose nicht zugrunde gelegt werden. Infolgedessen sind ausgeheilte Gesundheitsschäden, die Folge eines (Betriebs-)Unfalles waren, grds. nicht zu berücksichtigen (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 349). Dasselbe gilt für krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten wegen einer akuten Operation oder wegen Krankheiten, die mittlerweile vollständig ausgeheilt sind (BAG v. 14.1.1993 – 2 AZR 343/92, NZA 1994, 309). War der Arbeitnehmer jedoch in der Vergangenheit aufgrund von Erkältungs- oder Entzündungskrankheiten arbeitsunfähig oder litt er in der Vergangenheit häufig an Erkrankungen des Bewegungsapparates, zeugt dies nach Ansicht des BAG von einer gewissen Anfälligkeit des Arbeitnehmers für derartige Erkrankungen und begründet die Gefahr der Wiederholung selbst dann, wenn die akuten Erkrankungsfälle ausgeheilt sein sollten (BAG v. 10.11.2005, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

 

Rz. 200

Schwangerschaftsbedingte Ausfallzeiten dürfen für eine negative Zukunftsprognose nicht herangezogen werden. Bei Krankheiten, die nach Ablauf des Mutterschutzes auftreten, ist nach der Rspr. des EuGH jedoch nicht zwischen schwangerschaftsbedingten Erkrankungen und anderen Krankheitsursachen zu unterscheiden, da Männer und Frauen grds. einem gleichen Krankheitsrisiko ausgesetzt seien, auch wenn einzelne Krankheiten spezifisch für das eine oder andere Geschlecht seien (EuGH v. 30.6.1998 – Rs C 394/96, AP Nr. 16 zu RL 76/207/EWG – Mary Brown).

 

Rz. 201

Fraglich ist, wie lang der Zeitraum sein muss, der der Prognoseentscheidung zugrunde gelegt wird, und von welcher Art und Häufigkeit die in diesem Zeitraum auftretenden Fehlzeiten beschaffen sein müssen. Die Indizwirkung für Fehlzeiten in der Vergangenheit setzt jeweils einen hinreichend langen prognosefähigen Zeitraum voraus. Feste Zeiträume, bspw. drei Jahre, erkennt das BAG jedoch nicht an (BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Mit zunehmender Länge des prognosefähigen Zeitraumes dürfte i.d.R. jedoch die Tragfähigkeit für eine Prognoseentscheidung zunehmen. Infolgedessen ist der Prognoseentscheidung damit ein Zeitraum in der Vergangenheit zugrunde zu legen, der auf das jeweilige Leiden bezogen aussagekräftig ist (BAG v. 10.11.2005 – 2 AZR 44/05, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

 

Rz. 202

Nach teilweiser Auffassung in der Literatur (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 330) sowie einem Teil der Rspr. (LAG Hamm v. 4.12.1996 – 2 Sa 511/96, LAGE § 1 KSchG, Krankheit) muss der Prognosezeitraum zumindest zwei Jahre umfassen. Demgegenüber vertritt ein anderer Teil der Literatur die Meinung, dass zumindest bei noch nicht länger bestehenden Arbeitsverhältnissen auch eine Zeitdauer von ca. 15 Monaten ausreichen kann (so namentlich v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 360). Gegen die letztgenannte Ansicht spric...

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