Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 1112
Der besondere Kündigungsschutz erstreckt sich auf schwerbehinderte Menschen i.S.d. § 151 Abs. 1 SGB IX. Er gilt gem. § 2 Abs. 3 SGB IX auch für gleichgestellte behinderte Menschen.
Nach § 2 Abs. 2 SGB IX sind Menschen schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S.d. § 73 SGB IX im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben Allerdings ist die Definition der Behinderung in § 2 Abs. 1 SGB IX seit dem 1.1.2018 neugefasst: Danach sind Menschen behindert, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können.
Durch die geänderte Formulierung wird klargestellt, dass eine Behinderung eines Menschen erst durch das Behindern eines Menschen durch seine Umwelt entstehen kann (BAG v. 19.12.2013 – 6 AZR 190/12). Daraus hat die Rspr. bereits gefolgert, dass das reine Auslandsarbeitsverhältnis eines Schwerbehinderten, das allein auf ausländische Baustellen beschränkt ist, im Fall der Kündigung nicht der Zustimmung nach § 168 SGB IX bedürfe, selbst wenn die Anwendung deutschen Rechtes vereinbart ist (BAG v. 30.4.1987 – 2 AZR 192/86, NZA 1988, 135).
Rz. 1113
Der Schwerbehindertenschutz für den schwerbehinderten Menschen besteht schon dann, wenn die Voraussetzungen des § 151 SGB IX vorliegen. Ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigungserklärung schwerbehinderter Mensch i.S.d. § 151 SGB IX, so ist die Kündigung gem. §§ 168 SGB IX, 134 BGB nichtig, wenn diese Zustimmung nicht vorlag, weil sie dann der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes bedurfte (BAG v. 27.2.1987 – 7 AZR 632/85, NZA 1988, 429). Die Feststellung des Grades der Behinderung nach § 69 SGB IX hat nur deklaratorische Bedeutung (BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 864/06, NZA 2008, 1055). Der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX ist von der Größe des Betriebes unabhängig.
Nach § 96 Abs. 3 SGB IX gilt für die Vertrauenspersonen der schwerbehinderten Menschen § 15 KSchG i.V.m. § 103 BetrVG bzw. den maßgeblichen personalvertretungsrechtlichen Vorschriften entsprechend. Die Vertrauenspersonen können demnach nur aus wichtigem Grund und nur mit Zustimmung des Betriebs- oder Personalrats gekündigt werden. Einer Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung bedarf es gemäß § 96 Abs. 3 S. 1 SGB IX nicht (BAG v. 19.7. 2012 – 7 ABR 53/11, NZA 2013, 143).
Rz. 1114
Ohne Bedeutung ist das Alter. Leitende Angestellte fallen auch unter den Anwendungsbereich des SGB IX, insb. den besonderen Kündigungsschutz. Arbeitnehmer i.S.d. § 85 SGB IX sind auch die Auszubildenden (BAG v. 10.12.1987 – 2 AZR 385/87, NZA 1988, 428). Der besondere Kündigungsschutz auch gilt für Heimarbeiter und diesen gleichgestellte schwerbehinderte Menschen (§ 127 Abs. 2 S. 2 SGB IX).
Rz. 1115
Der besondere Kündigungsschutz gilt schließlich für Gleichgestellte i.S.d. § 2 Abs. 3 SGB IX. Er beginnt mit dem Verwaltungsakt, mit dem die Gleichstellung ausgesprochen wird, jedoch wird die Gleichstellung gem. § 2 Abs. 3 SGB IX mit dem Tag des Einganges des Antrages wirksam. Der Gleichstellungsbescheid ist ein konstitutiver Verwaltungsakt (BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, NZA 2006, 665). Die Gleichstellung wird rückwirkend mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam, § 2 Abs. 3 SGB IX. Damit kann eine Kündigung, die zwischen Antragstellung und Gleichstellung ausgesprochen wird und dem Arbeitnehmer zugeht, unwirksam sein, sofern der Gleichstellungsantrag später positiv beschieden wird.
Die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen setzt nach § 2 Abs. 3 SGB IX voraus, dass der Gleichzustellende zu dem in § 2 Abs. 2 SGB IX festgelegten Personenkreis gehört, bei ihm ein Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30 festgestellt ist und der Gleichzustellende, obwohl er arbeitsfähig ist, ohne die Gleichstellung nicht in der Lage ist, einen geeigneten Arbeitsplatz zu erlangen oder zu erhalten.