Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 952
Der besondere Kündigungsschutz der §§ 15 KSchG, 103 BetrVG erstreckt sich im Ausgangspunkt auf die Mitglieder des Betriebsrates, der Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrates. Geschützt werden hierdurch auch die Mitglieder des Gesamt- oder Konzernbetriebsrates. Dies ergibt sich schon daraus, dass in solche Gremien nur Mitglieder der Betriebsräte in Betrieben entsandt werden können und durch die vorgenannten Bestimmungen geschützt werden. Der Sonderkündigungsschutz gilt auch in Kleinbetrieben. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nimmt Kleinbetriebe nur von bestimmten Vorschriften des 1. Abschnitts des KSchG aus, nicht aber von dem im 2. Abschnitt verankerten § 15 KSchG. § 15 KSchG gilt auch für Kündigungen, die in der Insolvenz eines Unternehmens ausgesprochen werden (BAG v. 17.11.2005 – 6 AZR 118/05, NZA 2006, 370).
Rz. 953
Wird nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BetrVG eine andere Vertretung der Arbeitnehmer errichtet, so genießen auch sie den besonderen Kündigungsschutz, da diese Vertretung und deren Mitglieder an die Stelle der im BetrVG geregelten Vertretung tritt. Nach § 3 Abs. 5 S. 2 BetrVG finden auf die so gebildeten Arbeitnehmervertretungen die Vorschriften über die Rechte und Pflichten des Betriebsrates und die Rechtsstellung seiner Mitglieder Anwendung. Dementsprechend stehen diesen Vertretungen sämtliche Mitwirkungsrechte zu. Auch kommt ihnen der Kündigungsschutz des § 15 KSchG zu.
Rz. 954
Keinen besonderen Kündigungsschutz haben die Mitglieder des Wirtschaftsausschusses, sofern sie nicht Mitglieder des Betriebsrates sind. Gleiches gilt für Mitglieder von Einigungsstellen oder betrieblichen Schlichtungsstellen und die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat (BAG v. 4.4.1974 – 2 AZR 452/73, NJW 1974, 1399).
Rz. 955
Ersatzmitglieder des Betriebsrates haben im Grundsatz keinen besonderen Kündigungsschutz, denn sie sind keine Mitglieder des Betriebsrates. Erst wenn sie an die Stelle eines ausgeschiedenen oder zeitweilig verhinderten ordentlichen Mitgliedes des Betriebsrates treten, werden sie zum Mitglied des Betriebsrates. Der besondere Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG i.V.m. § 103 Abs. 1 BetrVG gilt für Ersatzmitglieder, soweit und solange sie ein verhindertes ordentliches Betriebsratsmitglied vertreten. Ein ordentliches Betriebsratsmitglied ist i.S.v. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG zeitweilig verhindert, wenn es aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, sein Amt auszuüben. Diese Voraussetzung ist während eines Erholungsurlaubs jedenfalls dann erfüllt, wenn das Betriebsratsmitglied nicht zuvor seine Bereitschaft angezeigt hat, trotz des Urlaubs für Betriebsratstätigkeit zur Verfügung zu stehen. Allerdings ist das Betriebsratsmitglied nicht allein deshalb im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG zeitweilig verhindert, weil es arbeitsfrei hat. Anders als im Falle bewilligte Erholungsurlaub ist ihm die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben außerhalb der persönlichen Arbeitszeit nicht grundsätzlich unzumutbar (BAG v. 27.9. 2012 – 2 AZR 955/11). Ein Ersatzmitglied des Betriebsrats, das trotz eigener Verhinderung an einer Betriebsratssitzung teilgenommen hat, kann sich auf den nachwirkenden Kündigungsschutz gem. § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG berufen. Allein die entfaltete Amtsaktivität, wegen der Konflikte mit dem AG hätten entstehen können, rechtfertigt eine "Abkühlungsphase" zwischen dem AG und dem aktiv gewordenen Ersatzmitglied, die durch den Ausschluss der ordentlichen Kündigung für die Dauer von einem Jahr zu gewährleisten ist (LAG Hamm v. 15.4.2016 -13 Sa 1364/15).
Der Kündigungsschutz tritt unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers von der Vertretungstätigkeit ein (BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 163/03, NZA 2005, 600; BAG v. 18.5.2006, 2 AZR 207/05, NZA 2006, 1037). Der Kündigungsschutz eines Ersatzmitglieds entfällt auch nicht dadurch, wenn er zur Vertretung herangezogen wurde, grds. nicht deshalb, weil sich später herausstellt, ein Vertretungsfall habe in Wirklichkeit nicht vorgelegen. Ausgeschlossen ist der Schutz aber, wenn der Vertretungsfall zum Schein herbeigeführt wurde oder das Ersatzmitglied weiß bzw. sich ihm aufdrängen muss, dass kein Vertretungsfall vorliegt (BAG v. 12.2.2004 – 2 AZR 163/03, NZA 2005, 600).
Rz. 956
Art. 7 des BetrVG-ReformG (BetrVG 2001) hat in § 15 KSchG einen weiteren Absatz eingefügt, durch den auch Arbeitnehmer, die zu einer Wahlversammlung einladen, Schutz gegen ordentliche Kündigungen genießen. In Betrieben ohne Betriebsrat ist nämlich nach § 14a Abs. 1 BetrVG in erster Linie eine Versammlung zuständig, zu der drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebes oder eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft einladen können. Findet keine Wahlversammlung statt oder wird auf ihr kein Wahlvorstand gewählt, bestellt diesen auch hier das ArbG auf Antrag von mindestens drei wahlberechtigten Arbeitnehmern oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft, § 17a Nr. 4 BetrVG. Hier setzt die Erweiterung des Sonderkündigungsschutzes an. Alle...