Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
I. Personenbedingte Kündigungsgründe
Rz. 108
Im Anwendungsbereich des KSchG ist eine ordentliche, fristgerechte Kündigung unwirksam, wenn sie sozial nicht gerechtfertigt ist. Gem. § 1 Abs. 2 KSchG kann sich die soziale Rechtfertigung einer Kündigung neben Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers (vgl. hierzu Rdn 332 ff.) und neben dringenden betrieblichen Erfordernissen (vgl. hierzu Rdn 568 ff.) auch aus Gründen ergeben, die in der Person des Arbeitnehmers liegen.
Rz. 109
§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG definiert den Begriff des personenbedingten Grundes nicht. Die Vorschrift enthält auch weder Beispiele noch einen abschließenden Katalog möglicher personenbedingter Gründe.
Rz. 110
Nach allgemeiner Auffassung liegt ein personenbedingter Grund jedoch vor, wenn der Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend die Fähigkeit und Eignung verloren hat, die geschuldete Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen (BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 personenbedingte Kündigung unter C III 2 b aa m. Anm. Rüthers/Henssler und Kothe; Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31, 44; vgl. auch BAG v. 18.1.2007 – 2 AZR 731/05, EzA KSchG § 1 personenbedingte Kündigung Rn 20; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 266; Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 4 Rn 9; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 118; zur teilweisen Einschränkung der Leistungsfähigkeit vgl. BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit unter II 1 b).
Rz. 111
Als personenbedingte Gründe, die eine ordentliche Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG sozial rechtfertigen können, kommen damit nur solche Umstände in Betracht, die auf einer in den persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers liegenden "Störquelle" beruhen (BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 211/04, BAGE 114,51; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, NZA 2008, VIII Heft 12). Eine personenbedingte Kündigung kann insb. dann sozial gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer aus Gründen, die zwar in seiner Sphäre liegen, die er jedoch nicht verschuldet haben muss (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 268), nicht mehr dazu in der Lage ist, die nach dem Vertrag vorausgesetzte Arbeitsleistung ganz oder teilweise zu erbringen. In solchen Fällen liegt i.d.R. eine schwere und dauerhafte Störung des vertraglichen Austauschverhältnisses vor, auf die der Arbeitgeber mit einer ordentlichen Kündigung reagieren kann, falls eine andere Beschäftigung nicht mehr möglich ist (BAG v. 24.2.2005 – 2 AZR 211/04, BAGE 114, 51; BAG v. 5.6.2008 – 2 AZR 984/06, NZA 2008, VIII Heft 12).
Rz. 112
Personenbedingte Kündigungsgründe können z.B. aus rechtlichen Hindernissen für die Durchführung des Arbeitsvertrages (fehlende Arbeitserlaubnis), aus Eignungsmängeln (fehlende geistige, körperliche oder charakterliche Befähigung zur Durchführung der Arbeitsaufgaben) oder aus belastenden Fehlzeiten des Arbeitnehmers (Krankheit, Freiheitsstrafe) folgen. Ein rechtliches Hindernis liegt jedoch nicht vor, wenn ein im Bodendienst eines Flughafens tätiger Student aufgrund seiner überlangen Studiendauer von den Sozialversicherungsbehörden nicht mehr als sozialversicherungsfrei anerkannt wird (BAG v. 18.1.2007, EzA KSchG § 1, personenbedingte Kündigung Rn 20). Demgegenüber erfordert die Beschäftigung eines Studenten als "studentische Hilfskraft" an einer Forschungseinrichtung i.d.R., dass er auch tatsächlich dem Studium nachgeht. Entfällt diese Voraussetzung, bspw. wegen einer Exmatrikulation, ist eine Kündigung aus personenbedingten Gründen regelmäßig gerechtfertigt (BAG v. 18.9.2008 – 2 AZR 976/06, NZA 2009, 425).
II. Begriffliche Zuordnung des Kündigungssachverhalts
Rz. 113
Eine genaue begriffliche Zuordnung eines bestimmten Kündigungssachverhaltes zu der in § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG vorgenommenen Einteilung in personenbedingte, verhaltensbedingte oder betriebsbedingte Kündigungsgründe ist in der Praxis jedoch häufig nur schwer möglich.
1. Mischtatbestände
Rz. 114
Kündigungssachverhalte, die gleichzeitig zwei oder drei der in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG genannten Kündigungsgründe betreffen, werden als sog. echte Mischtatbestände bezeichnet. Wegen der unterschiedlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen von personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen ist eine zutreffende Einordnung der Kündigung in eine dieser Fallgruppen zwar wichtig, aber häufig nicht einfach durchzuführen. Davon zu unterscheiden sind sog. unechte Mischtatbestände. In diesen Fällen wird die Kündigung auf mehrere Sachverhalte gestützt, die voneinander unabhängig sind und verschiedenen Kündigungsgründen zugeordnet werden können.
a) Echte Mischtatbestände
Rz. 115
Bei echten Mischtatbeständen grenzt das BAG nach der sog. Sphärentheorie in erster Linie danach ab, welcher der vorliegenden Kündigungstatbestände sich am stärksten nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirkt (BAG v. 21.11.1985 – 2 AZR 21/85, NZA 1986, 713; BAG v. 20.11.1997 – 2 AZR 643/96, NZA 1998, 323; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 271; im Einzelnen und zur Kritik vgl. KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 255). Es ist mithin zu prüfen, ob der Kündigungssachverhalt der Sphäre des Arbeitnehmers oder des Arbeitgebers zuzuordnen ist (v. Hoyni...