Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 595
Für die Frage, welche milderen Mittel konkret geeignet sind, eine betriebsbedingte Beendigungskündigung zu vermeiden, ist auf den jeweiligen Kündigungssachverhalt und den jeweils verfolgten unternehmerischen Zweck abzustellen. Sind bspw. auf den Jahresarbeitszeitkonten der Arbeitnehmer eines Betriebes in erheblichem Umfang Zeitguthaben entstanden, hat der Arbeitgeber grds. zunächst die Guthabenstunden abzubauen, bevor er einzelnen Arbeitnehmern betriebsbedingt kündigt und den im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern bei voller Weiterbeschäftigung möglicherweise noch eine finanzielle Abgeltung für ihre Guthabenstunden zahlt (BAG v. 8.11.2007, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 157).
Rz. 596
Demgegenüber fordert das Ultima-Ratio-Prinzip vom Arbeitgeber jedoch nicht, vor Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung die Arbeitszeit aller Arbeitnehmer auf Dauer zu verkürzen (LAG Hamm v. 15.12.1982, ZIP 1983, 212; Vollmer, DB 1982, 1933; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 530; a.A. ArbG Bocholt v. 22.5.1982, DB 82, 1938).
Rz. 597
Die Einführung von Kurzarbeit stellt nur ausnahmsweise ein milderes Mittel zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen dar, weil Kurzarbeit i.d.R. nur bei einem vorübergehenden Arbeitsmangel in Betracht kommt. Eine betriebsbedingte Kündigung setzt jedoch grds. voraus, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten dauerhaft wegfallen. Ist dies der Fall, muss der Arbeitgeber zur Vermeidung einer betriebsbedingten Kündigung keine Kurzarbeit einführen (BAG v. 15.6.1989, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Rz. 598
Aus § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III lassen sich i.Ü. keine Schlussfolgerungen für das Merkmal "dringend" in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG herleiten. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III haben die Arbeitgeber bei ihren Entscheidungen verantwortungsvoll deren Auswirkungen auf die Beschäftigung der Arbeitnehmer und von Arbeitslosen und damit die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung einzubeziehen. Die Arbeitgeber sollen dabei insb. vorrangig durch betriebliche Maßnahmen die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitsförderung sowie Entlassungen von Arbeitnehmern vermeiden. Die Bestimmung des § 2 Abs. 2 Nr. 2 SGB III enthält rein sozialversicherungsrechtliche Aussagen, die jedoch arbeitsrechtlich keine konkreten Rechtsfolgen vorsehen (v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 725; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 529a; Bauer/Haussmann, NZA 1997, 1100; APS/Kiel, § 1 KSchG Rn 565; a.A. Schaub, NZA 1997, 810; Bepler, AuR 1999, 219, 221).
Rz. 599
Als weitere mildere Mittel kommen bspw. Änderungskündigungen (hierzu im Einzelnen vgl. § 25 Rdn 1 ff.) oder Versetzungen in Betracht.