Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
(1) Abmahnungsberechtigung
Rz. 361
Eine Abmahnung können nicht nur kündigungsberechtigte Personen aussprechen, sondern alle Vorgesetzten, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung dazu befugt sind, dem Arbeitnehmer Anweisungen wegen des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise seiner vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung zu erteilen (BAG v. 18.1.1980, AP Nr. 3 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG v. 5.7.1990, NZA 1991, 667). Abmahnungsberechtigt sind infolgedessen nicht nur Dienstvorgesetzte, die Personalentscheidungen treffen dürfen, sondern auch die Fachvorgesetzten.
(2) Form
Rz. 362
Die Abmahnung kann zwar grds. mündlich oder schriftlich erfolgen, da gesetzliche Formvorschriften nicht bestehen. Allerdings muss der Arbeitgeber in einem Kündigungsschutzprozess ggf. nachweisen, dass er vor Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung dem Arbeitnehmer bereits eine Abmahnung in einem früheren, einschlägigen Fall erteilt hat.
Rz. 363
Hinweis
Es empfiehlt sich dringend, Abmahnungen nur schriftlich zu erteilen.
(3) Inhaltliche Anforderungen
Rz. 364
Der notwendige Inhalt einer Abmahnung folgt aus ihrer Dokumentations-, Rüge- und Warnfunktion. Sie muss eindeutig und bestimmt sein.
Rz. 365
In der Abmahnung muss das vertragswidrige Verhalten hinreichend deutlich beschrieben werden. Pauschale Umschreibungen, wie "Unpünktlichkeit", "Nichtbefolgung von Arbeitsanweisungen", "nicht ausreichende Leistung", genügen nicht. Das Fehlverhalten muss vielmehr nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen genauer bezeichnet werden (Bader, ZTR 1999, 200 ff.; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 349).
Rz. 366
Es muss zudem deutlich werden, dass der Arbeitgeber nicht mehr bereit ist, ein bestimmtes Verhalten des Arbeitnehmers hinzunehmen.
Rz. 367
Notwendig ist außerdem der Hinweis, dass im Wiederholungsfall Bestand und Inhalt des Arbeitsverhältnisses gefährdet sind (BAG v. 10.11.1988, NZA 1989, 633; BAG v. 17.2.1994, AP Nr. 116 zu § 626 BGB). Nicht erforderlich ist es jedoch, bestimmte kündigungsrechtliche Maßnahmen, insb. eine Kündigung, anzudrohen (BAG v. 18.1.1980 – 7 AZR 75/78, DB 1980, 1351).
(4) Zugang und Kenntnisnahme
Rz. 368
Eine Abmahnung wird als geschäftsähnliche Handlung angesehen (BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, NZA 1985, 124). Sie muss dem Arbeitnehmer zugehen, damit sie wirksam werden kann. Für den Zugang ist § 130 Abs. 1 BGB analog anzuwenden (BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, NZA 1985, 124). Darüber hinaus fordert das BAG, dass der Arbeitnehmer auch vom Inhalt der Abmahnung tatsächlich Kenntnis nimmt (BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, NZA 1985, 124). Allerdings muss der Arbeitnehmer sich so behandeln lassen, als ob ihm der Inhalt der Abmahnung bekannt geworden ist, wenn es ihm nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf die fehlende Kenntnis zu berufen (BAG v. 9.8.1984 – 2 AZR 400/83, NZA 1985, 124).
(5) Ausschlussfrist
Rz. 369
Es besteht keine gesetzliche Ausschlussfrist, innerhalb derer eine Abmahnung auszusprechen ist (BAG v. 13.12.1989, RzK I 1 57; BAG v. 14.12.1994, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abmahnung).
Rz. 370
Spricht der Arbeitgeber allerdings erst geraume Zeit nach dem beanstandeten Verhalten eine Abmahnung aus, entfaltet diese nur noch eine abgeschwächte Warnfunktion (LAG Nürnberg v. 14.6.2005, LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 3). Das Fehlverhalten des Arbeitnehmers wirkt sich dann durch die Zwischenzeit, in der er vertragstreu geblieben ist, nicht mehr so schwerwiegend aus, dass es im Fall einer Kündigung überhaupt noch beachtlich wäre (APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 409; vgl. zum Verlust der Warnfunktion einer Abmahnung nach längerer Zeit einwandfreier Führung des Arbeitnehmers BAG v. 19.7.2012 – 2 AZR 782/11, Rn 20, BAG NZA 2013, 91; BAG v. 18.11.1986 – 7 AZR 674/84, zu II 5 der Gründe; BAG, EzA BGB § 611 Abmahnung Nr. 4).
Rz. 371
Der Arbeitgeber kann sein Abmahnungsrecht jedoch auch vollständig verwirken. Allerdings reicht für eine Verwirkung der reine Zeitablauf nicht aus. Hinzutreten muss ein sog. Umstandsmoment (BAG v. 14.12.1994, AP Nr. 15 zu § 611 BGB Abmahnung).
Rz. 372
Dabei gilt, dass die Anforderungen an das erforderliche Umstandsmoment umso geringer sind, je länger der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt ist, an dem der Arbeitgeber von der Pflichtverletzung Kenntnis erlangt hat, und demjenigen, an dem er die Abmahnung aussprechen will (vgl. LAG Köln v. 28.3.1988, LAGE § 611 BGB Abmahnung Nr. 10). Das LAG Köln ist davon ausgegangen, dass das Recht des Arbeitgebers, ein nicht vertragsgemäßes Verhalten des Arbeitnehmers abzumahnen, nach einem Jahr verwirkt sein kann. Im entschiedenen Fall hatte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zunächst schriftlich darüber informiert, dass er sich wegen der vom Arbeitnehmer begangenen Pflichtverletzung weitere Schritte vorbehalte. Die schriftliche Abmahnung erteilte er indes erst mehr als ein Jahr später, ohne dass dafür ein plausibler Grund ersichtlich war.
(6) Vorweggenommene Abmahnung
Rz. 373
Umstritten ist, ob und inwieweit eine Abmahnung bspw. durch Aushang am Schwarzen Brett oder durch einen Hinweis im Arbeitsvertrag vorweggenommen werden kann.
Rz. 374
Nach einer teilweise vertretenen Ansicht in der Literatur...