Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 659
Wie sich aus § 15 Abs. 4 KSchG ergibt, stellt die Betriebs- oder Teilbetriebsstilllegung ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine betriebsbedingte Kündigung dar (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 25; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, Rn 25, BAG v. EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125).
Eine Kündigung wegen geplanter Betriebsstilllegung ist aber nur dann durch dringende betriebliche Erfordernisse i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt, wenn es sich um eine endgültige, abschließende Planung handelt (BAG v. 18.1.2001 – 2 AZR 514/99, NZA 2001, 719; BAG v. 5.4.2001, NZA 2001, 949). Die Betriebsstilllegung setzt den ernstlichen und endgültigen Entschluss des Arbeitgebers voraus, die mit den Arbeitnehmern bestehende Betriebs- und Produktionsgemeinschaft für einen seiner Dauer nach unbestimmten, wirtschaftlich nicht unerheblichen Zeitraum aufzugeben (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 25; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, Rn 37; BAG v. 11.3.1998 – 2 AZR 414/97, NZA 1998, 879; BAG v. 10.10.1996, NZA 1997, 92; BAG v. 27.9.1984, NZA 1985, 493 = ZIP 1985, 698; BAG v. 26.2.1987, NZA 1987, 419 = ZIP 1987, 731). Daran fehlt es, wenn der Arbeitgeber zum Kündigungszeitpunkt noch in Verhandlungen mit einem oder mehreren potenziellen Erwerbern über die Veräußerung des Betriebes oder eines Betriebsteiles steht (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26; BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, Rn 23; BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251; BAG v. 9.2.1994 – 2 AZR 666/93, NZA 1994, 686 = WPra 15/1994, 12 m. Anm. Berscheid = ZIP 1994, 1041 oder sich noch um neue Aufträge bemüht (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26; BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, Rn 23).
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Der Arbeitgeber ist allerdings nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung auszusprechen (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26). Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26). Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung muss die auf Tatsachen gestützte, betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt sein, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26); BAG v. 13.2.2008 – 2 AZR 543/06, Rn 22, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 175). Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss gefasst hat, den Betrieb endgültig und nicht nur vorübergehend stillzulegen (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26; BAG v. 16.2.2012 – 8 AZR 693/10, Rn 37, BAG AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 188). Der Ernsthaftigkeit der Stilllegungsabsicht steht dabei nicht entgegen, wenn ein Arbeitgeber sich entschließt, die gekündigten Arbeitnehmer während ihrer jeweiligen Kündigungsfrist noch dazu einzusetzen, bestehende Aufträge abzuarbeiten (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26). Der Arbeitgeber erfüllt damit gegenüber den tatsächlich eingesetzten Arbeitnehmern lediglich seine auch im gekündigten Arbeitsverhältnis bestehende Beschäftigungspflicht (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 26; BAG v. 8.11.2007 – 2 AZR 554/05, Rn 20, BAG EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 156).
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Bei einer Betriebsstilllegung ist ferner erforderlich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare Formen" angenommen haben (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 27; BAG v. 15.12.2011 – 8 AZR 692/10, Rn 40, BAG EzA BGB 2002 § 613a Nr. 132). Von einer Stilllegung kann jedenfalls dann ausgegangen werden, wenn der Arbeitgeber seine Stilllegungsabsicht unmissverständlich äußert, allen Arbeitnehmern kündigt, etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst, die Betriebsmittel, über die er verfügen darf, veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 27; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, Rn 26, BAG EzA BGB 2002 § 613a Nr. 125). Für die Stilllegung von Betriebsteilen gilt dies, begrenzt auf die entsprechende Einheit, entsprechend (BAG v. 14.3.2013 – 8 AZR 153/12, Rn 27; BAG v. 26.5.2011 – 8 AZR 37/10, Rn 26).
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Ist die Stilllegungsabsicht nicht endgültig, so liegt nur eine rechtlich unerhebliche Betriebspause oder Betriebsunterbrechung vor, die im Allgemeinen nicht zur Kündigung berechtigt (BAG v. 10.10.1996 – 2 AZR 477/95, NZA 1997, 251; BAG v. 7.6.1984, KTS 1984, 434 = ZIP 1984, 1517; BAG v. 19.6.1991, NZA 1991, 891 = ZIP 1991, 1374). In Ausnahmefällen kann auch eine vorübergehende Schließung des Betriebes eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn im Kündigungszeitpunkt der Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Zeitraum von bspw. zehn Monaten (LAG Berlin v. 17.11.1986, LAGE § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 9) oder einem ¾ Jahr (BAG v. 27.4.1995, WiPra 1996, 184, 185 f. m. Anm. Berschei...