Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 379
Erforderlich ist, dass die vorangegangene Abmahnung und der weitere Vertragsverstoß des Arbeitnehmers, der zur Kündigung berechtigt, in einem Zusammenhang stehen. Das ist nur dann der Fall, wenn der erneute Pflichtverstoß eine gleichartige Pflichtverletzung betrifft (BAG v. 21.5.1987, DB 1987, 2367; APS/Dörner, § 1 KSchG Rn 425). Denn nur bei einem gleichartigen Pflichtverstoß kann davon ausgegangen werden, dass der Arbeitnehmer die Warnfunktion der Abmahnung, die ihm in der Vergangenheit ausgesprochen wurde, ignoriert hat.
Rz. 380
Das BAG hat in seiner älteren Rspr. eher strenge Anforderungen an die Gleichartigkeit der Pflichtverletzung gestellt. So hat das BAG in einem Fall eine Kündigung wegen der verspäteten Erledigung eines Arbeitsauftrages als unwirksam angesehen, obwohl der Arbeitnehmer bereits zuvor wegen der Nichtteilnahme an einer dienstlichen Besprechung sowie der Nichteinhaltung seiner Arbeitszeit abgemahnt worden war (BAG v. 27.2.1985, RzK I 1 Nr. 5). Nach damaliger Ansicht des BAG handelte es dabei nicht um gleichartige Wiederholungsverstöße.
Rz. 381
In seiner jüngeren Rspr. stellt das BAG nunmehr zu Recht darauf ab, ob das abgemahnte Verhalten und der Kündigungsvorwurf dem gleichen Pflichtenkreis entstammen (BAG v. 16.9.2004, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; BAG v. 13.12.2007, EzA § 4 KSchG Nr. 82). Erscheint ein Arbeitnehmer verspätet zur Arbeit und lässt er sich einen Verstoß gegen die Anzeigepflicht nach dem EFZG zuschulden kommen, sind diese Vertragsverletzungen als Ausdruck einer spezifischen Unzuverlässigkeit zu bewerten. Sie zeigen, dass der Arbeitnehmer es nicht so genau nimmt und er die Pflicht, pünktlich zur Arbeit zu erscheinen oder, falls das nicht möglich ist, seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten, dass er nur verspätet oder überhaupt nicht zur Arbeit erscheinen kann, nicht als Verpflichtung ansieht, sondern als eher unverbindlichen Vorschlag, dem man nicht immer folgen muss (BAG v. 16.9.2004, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung).
Rz. 382
Die negative Zukunftsprognose erfordert keine bestimmte Anzahl von Abmahnungen. Grds. reicht eine vorherige, den gleichen Pflichtenkreis betreffende Abmahnung aus, um eine nachfolgende Kündigung zu rechtfertigen. Verstößt nämlich der Arbeitnehmer gegen seine Pflichten, obwohl er bereits einschlägig abgemahnt wurde, ist regelmäßig nicht davon auszugehen, dass er sich künftig vertragsgerecht verhalten wird. Abhängig davon, wie schwer der Vorwurf des Vertragsverstoßes wiegt, kann es jedoch erforderlich sein, den Arbeitnehmer nicht nur einmal abzumahnen. Dies ist namentlich der Fall, wenn der abgemahnte Pflichtenverstoß bereits längere Zeit zurückliegt und nicht schwerwiegend war (BAG v. 15.11.2001, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Abmahnung; LAG Hamm v. 25.9.1997, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 509).
Rz. 383
Andererseits ist zu beachten, dass eine Vielzahl von Abmahnungen, die wegen gleichartiger Pflichtverletzungen ausgesprochen werden, denen jedoch keine weitere Konsequenz folgt, die Warnfunktion schwächen kann. Der Arbeitnehmer muss die in der Abmahnung enthaltene Drohung noch ernst nehmen können; es darf sich nicht um eine "leere" Drohung handeln (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, Rn 47; BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 406/03, zu B I 4 a der Gründe, BAG EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 64; BAG v. 15.11.2001 – 2 AZR 609/00, zu II 3 a aa der Gründe, BAGE 99, 340). In solchen Fällen kann der Arbeitgeber nur eine wirksame Kündigung aussprechen, wenn er seine letzte Abmahnung vor Ausspruch der Kündigung besonders eindringlich formuliert hat (BAG v. 15.11.2001, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Abmahnung). Der Arbeitnehmer muss erkennen können, dass eine weitere Pflichtverletzung den Ausspruch einer Kündigung nach sich ziehen wird (BAG v. 15.11.2001, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Abmahnung; BAG v. 16.9.2004, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Dies kann etwa dadurch geschehen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer darauf hinweist, dass es sich um eine "letztmalige Abmahnung" handelt (BAG v. 15.11.2001, AP Nr. 4 zu § 1 KSchG Abmahnung). In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass vor dem Hintergrund der gängigen Praxis, bei leichteren Vertragsverstößen mehrere Abmahnungen zu fordern, die Warnfunktion in aller Regel nicht bereits durch die dritte Abmahnung geschwächt werden wird (BAG v. 16.9.2004, AP Nr. 50 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung). Die Warnfunktion einer Abmahnung erstreckt sich im Übrigen nur auf gleichartige Pflichtverletzungen (BAG v. 27.9.2012 – 2 AZR 955/11, Rn 47; BAG v. 9.6.2011 – 2 AZR 323/10, Rn 31, BAG EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 818/06, Rn 41, BAG EzA KSchG § 4 n.F. Nr. 82). Sie wird durch Abmahnungen aus anderen Gründen regelmäßig nicht beeinträchtigt (vgl. auch BAG v. 16.9.2004 – 2 AZR 406/03, zu B I 4 b aa der Gründe).
Rz. 384
Hat der Arbeitgeber eine Kündigung ausgesprochen, die sich als rechtsunwi...