Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 572
Infolgedessen ist die Rechtmäßigkeit einer betriebsbedingten Kündigung in drei Stufen zu prüfen.
Zunächst ist zu prüfen, ob die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund betrieblicher Erfordernisse weggefallen ist.
Sodann ist zu prüfen, ob es eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit gibt.
Schließlich ist, falls mehrere Arbeitnehmer aufgrund der dringenden betrieblichen Erfordernisse für eine Kündigung in Betracht kommen, eine soziale Auswahl unter ihnen vorzunehmen.
1. Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund betrieblicher Erfordernisse
a) Betriebliche Erfordernisse
Rz. 573
Eine Kündigung ist aus dringenden betrieblichen Erfordernissen i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitsanfall und damit der Beschäftigungsbedarf dauerhaft so zurückgegangen ist, dass zukünftig das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer weggefallen ist (BAG v. 6.12.2001 – 2 AZR 695/00, NZA 2002, 927; BAG v. 18.5.2006, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 46; BAG v. 18.10.2006, NZA 2007, 798; BAG v. 17.1.2008, EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 159).
Rz. 574
Betriebliche Erfordernisse i.S.v. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG können ihre Ursache in innerbetrieblichen Umständen oder außerbetrieblichen Ursachen haben (BAG v. 17.6.1999, BAGE 92, 79; BAG v. 12.4.2002, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 13.2.2008, NZA 2008, 821).
aa) Außerbetriebliche Gründe
Rz. 575
Außerbetriebliche Gründe sind Umstände, die von der Betriebsgestaltung und -führung unabhängig sind, einen konkreten Bezug zum Betrieb des Arbeitgebers haben und sich auf bestimmte Arbeitsplätze auswirken (Hillebrecht, ZfA 1991, 93; KR/Griebeling, § 1 KSchG Nr. 517). Außerbetriebliche Gründe können sich bspw. aus einem Auftragsrückgang oder Umsatzeinbrüchen ergeben (BAG v. 18.10.2006 – 2 AZR 676/05, NZA 2007, 798; BAG v. 8.11.2007, EzA KSchG § 1 betriebsbedingte Kündigung Nr. 157; BAG v. 13.2.2008, NZA 2008, 821). Sie sind nur dann betriebsbedingte Kündigungsgründe, wenn sie einen Überhang an Arbeitskräften auslösen, durch den mittelbar oder unmittelbar das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfällt (BAG v. 30.5.1985, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 36; BAG v. 13.3.1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44).
Rz. 576
In den meisten Fällen verursachen jedoch außerbetriebliche Gründe für sich allein nicht einen Wegfall von Arbeitsplätzen (KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 518). Dazu bedarf es i.d.R. einer gestaltenden unternehmerischen Entscheidung, die aufgrund der außerbetrieblichen Umstände getroffen wird (vgl. BAG v. 16.12.2004, AP Nr. 133 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 2.6.2005, AP Nr. 75 zu § 1 KSchG Soziale Auswahl), bspw. wenn der Arbeitgeber aufgrund der außerbetrieblichen Umstände eine innerbetriebliche Restrukturierung durchführt. Die betroffenen Arbeitsplätze fallen dann als unmittelbare Folge der gestaltenden Unternehmerentscheidung weg und nur mittelbar wegen der außerbetrieblichen Umstände (BAG v. 30.4.1987, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung).
Rz. 577
Nur in Fällen, in denen ein Arbeitgeber die von ihm beschäftigte Anzahl von Mitarbeitern von vornherein abhängig von bestimmten Umsatzzahlen gemacht hat, verursacht ein Umsatzrückgang unmittelbar ein betriebliches Erfordernis (BAG v. 15.6.1969, AP Nr. 45 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung). Dies soll nach Ansicht des BAG auch gelten, wenn ein Reinigungsunternehmen die in einem bestimmten Objekt eingesetzten Reinigungskräfte kündigt, weil der Reinigungsauftrag weggefallen ist (BAG v. 12.4.2002, AP Nr. 120 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung). In derartigen Fällen hat sich der Arbeitgeber also durch eine zeitlich vorweggenommene Unternehmerentscheidung selbst gebunden (v. Hoyningen-Huene, NZA 1994, 1009, 1111; Frantzen, NZA 2001, 805, 809; Kaiser, NZA 2005 Beil. 1 S. 31, 32; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 688).
bb) Innerbetriebliche Gründe
Rz. 578
Nach der Rspr. des BAG können betriebliche Erfordernisse auch aus innerbetrieblichen Gründen folgen, d.h. unternehmerischen Entscheidungen, wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen sowie Umstellung oder Einschränkung der Produktion (BAG v. 26.6.1997, AP Nr. 86 zu § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 17.6.2003, AP Nr. 260 zu § 613a BGB). Dazu gehören auch organisatorische Veränderungen, die zu Betriebseinschränkungen, Betriebsstilllegungen oder zur Schließung von Betriebsteilen oder Betriebsabteilungen führen (BAG v. 4.5.2006, EzA BGB § 613a Nr. 51; BAG v. 14.8.2007, NZA 2007, 1431, 1435). Zu den innerbetrieblichen Gründen gehört ferner die Entscheidung, Tätigkeiten, die bislang von betriebseigenen Arbeitnehmern ausgeführt wurden, an eine Fremdfirma zu vergeben (BAG v. 30.4.1987, AP Nr. 42 zu § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung; BAG v. 17.6.1999, AP Nr. 102 zu § 1 KSchG betriebsbedingte Kündigung) sowie die Entscheidung, Tätigkeiten, die bislang von Arbeitnehmern durchgeführt wurden, zukünftig von selbstständigen Personen durchführen zu lassen (BAG v. 9.5.1996 – 2 AZR 438/95, NZA 1996, 1145; BAG v. 13.3.2008, NZA 2008, 878).
cc) Unternehmerische Entscheidung
(1) Allgemeines
Rz. 579
Jeder betriebsbedi...