Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Grundsätze
Rz. 830
Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 S. 1 KSchG keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer gem. § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung. Der Anspruch setzt gem. § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG den Hinweis des Arbeitgebers in der Kündigungserklärung voraus, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt ist und dass der Arbeitnehmer die Abfindung beanspruchen kann, wenn er die Klagefrist verstreichen lässt.
Rz. 831
§ 1a KSchG gilt für ordentliche betriebsbedingte Kündigungen (KR/Spilger, § 1a KSchG Rn 24; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; Bader, NZA 2004, 65, 70). Sie ist aber auch auf außerordentliche betriebsbedingte Kündigungen mit sozialer Auslauffrist anwendbar (Preis, DB 2004, 70, 73; Willemsen/Annuß, NJW 2004, 177, 182; Schaub/Linck, ArbRHB, § 134 Rn 63; a.A. Rolfs, ZIP 2004, 333, 334).
Rz. 832
§ 1a KSchG gilt grds. nur für Beendigungskündigungen. Die Regelung ist aber auch auf eine aus dringenden betrieblichen Gründen ausgesprochene Änderungskündigung anwendbar, sofern diese wegen Nichtannahme oder vorbehaltloser Ablehnung des Änderungsangebotes zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führt (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528). Dafür spricht schon, dass eine Änderungskündigung immer auch eine Beendigungskündigung enthält. Ab Zugang der Kündigung hat es ausschließlich der Arbeitnehmer in der Hand, diese Änderungskündigung durch Nicht-Annahme der geänderten Arbeitsbedingungen zu einer Beendigungskündigung werden zu lassen und durch Verstreichenlassen der Frist des § 4 S. 1 KSchG die Voraussetzungen für das Entstehen des Abfindungsanspruches zu schaffen (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 663/06, NZA 2008, 528).
2. Abfindungshöhe
Rz. 833
Die Höhe der Abfindung beträgt gem. § 1a Abs. 2 S. 1 KSchG 0,5 Monatsverdienste für jedes Jahr des Bestehens des Arbeitsverhältnisses. Als Monatsverdienst gilt gem. § 1a Abs. 2 S. 2 KSchG i.V.m. § 10 Abs. 3 KSchG, was dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit in dem Monat, in dem das Arbeitsverhältnis endet, an Geld und Sachbezügen zusteht Bei der Ermittlung der Dauer des Arbeitsverhältnisses ist gem. § 1a Abs. 2 S. 3 KSchG ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten auf ein volles Jahr aufzurunden.
3. Entstehen des Anspruchs
a) Hinweis im Kündigungsschreiben
Rz. 834
Das Entstehen des Anspruches setzt neben der betriebsbedingten Kündigung voraus, dass der Arbeitgeber in der schriftlichen (§ 623 BGB) Kündigungserklärung den Hinweis gegeben hat, die Kündigung werde auf dringende betriebliche Erfordernisse gestützt und der Arbeitnehmer könne bei Verstreichenlassen der Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG die Abfindung beanspruchen. Es ist ausreichend, dass der Arbeitgeber die Kündigung als betriebsbedingt bezeichnet. Eine nähere Begründung ist nicht erforderlich (BT-Drucks 15/1204, 12).
Rz. 835
Der Arbeitgeber muss die Höhe der Abfindung nicht beziffern, da sich diese bereits aus § 1a KSchG ergibt (BAG v. 19.6.2007 – 1 AZR 340/06, NZA 2007, 1357, 1359).
b) Annahme durch Verstreichenlassen der Frist
Rz. 836
Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch auf die Abfindung, wenn er die Klagefrist verstreichen lässt.
Rz. 837
Erhebt er Kündigungsschutzklage innerhalb der Frist, hat er keinen Anspruch auf die Abfindung. Die gesetzliche Regelung will gerichtliche Auseinandersetzungen der Arbeitsvertragsparteien vermeiden und den Parteien eine einfache, effiziente und kostengünstige außergerichtliche Option zu einem fairen Interessenausgleich zur Verfügung stellen. Diesem Zweck entspricht es, einem Arbeitnehmer die Abfindung zu versagen, wenn er eine gerichtliche Auseinandersetzung eingeleitet hat (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696, 699; vgl. auch BT-Drucks 15/1204, 9, 12).
Rz. 838
Nimmt der Arbeitnehmer seine Kündigungsschutzklage zurück, können die Voraussetzungen des § 1a Abs. 1 S. 1 KSchG nicht mehr – nachträglich – erfüllt werden. Daran ändert auch § 269 Abs. 3 S. 1 ZPO nichts, wonach der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen ist, wenn die Klage zurückgenommen wird (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696, 699). Die Rücknahmefiktion würde das gesetzgeberische Ziel konterkarieren, einen Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung nur im Fall der Vermeidung einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu begründen. Dem widerspräche es, wenn der Arbeitnehmer zunächst die Entwicklung des Kündigungsschutzprozesses abwarten und die Klage bei sich abzeichnender Erfolglosigkeit zurücknehmen könnte, um noch in den Genuss der vom Arbeitgeber mit dem Hinweis nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG angebotenen Abfindung kommen zu können. Um die Beseitigung eben dieser Unwägbarkeiten aber ist es dem Gesetzgeber mit der Schaffung des § 1a KSchG gegangen (BAG v. 13.12.2007 – 2 AZR 971/06, NZA 2008, 696, 699; KR/Spilger, § 1a KSchG Rr. 79).
Rz. 839
Dies gilt auch für eine nach Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist eingereichte (Künd...