Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
Rz. 129
Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer personenbedingten Kündigung erfolgt in drei Schritten (Berkowsky, NZA-RR 2001, 393 ff. und 449 ff.; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 271).
1. Verlust von Eignung und Fähigkeit
Rz. 130
Eine wirksame personenbedingte Kündigung setzt zunächst voraus, dass der Arbeitnehmer wegen seiner persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften nicht mehr in der Lage ist, künftig seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ganz oder teilweise zu erfüllen (BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 personenbedingte Kündigung unter C III 2 b aa) m. Amn. Rüthers/Henssler/Kothe; BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit unter II 1 b zur teilweisen Einschränkung der Leistungsfähigkeit). Dadurch muss die Erreichung des Vertragszweckes nicht nur vorübergehend zumindest teilweise unmöglich sein (BAG v. 10.10.2002 – 2 AZR 472/01, AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969 verhaltensbedingte Kündigung m. abl. Anm. Adam).
Rz. 131
Daher ist eine negative Prognose erforderlich (BAG v. 24.11.2005 – 2 AZR 514/04, AP Nr. 43 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Es darf also mit der alsbaldigen (Wieder-) Herstellung der Fähigkeit und Eignung, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, nicht gerechnet werden (sog. negative Zukunftsprognose).
Rz. 132
Allerdings muss der Arbeitnehmer am Tag des Kündigungszugangs nicht zwingend in seiner Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Es reicht, wenn der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung davon ausgehen kann, dass nach dem Ablauf der Kündigungsfrist noch mit weiteren Störungen bei der Leistungserbringung zu rechnen ist (ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 105).
Rz. 133
Im Prozess hat der Arbeitgeber anhand tatsächlicher Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, dass der Arbeitnehmer die Eignung oder Fähigkeit, seine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, nicht nur vorübergehend verloren hat.
2. Beeinträchtigung des Arbeitgebers/fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
a) Betriebliche/wirtschaftliche Beeinträchtigung
Rz. 134
Durch die personenbedingten Gründe müssen betriebliche oder wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers konkret beeinträchtigt werden (BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 personenbedingte Kündigung; BAG v. 28.2.1990 – 2 AZR 401/89, AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Erforderlich ist dabei eine konkrete Störung des Austauschverhältnisses von Leistung und Gegenleistung (Beispiele im Einzelnen vgl. Rdn 146 ff.).
b) Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit
Rz. 135
Die personenbedingte Kündigung ist ferner nur dann sozial gerechtfertigt, wenn eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Unternehmens nicht infrage kommt (BAG v. 2.11.1989 – 2 AZR 366/89), bei dem die Eignungs- bzw. Fähigkeitsmängel nicht mehr oder nur noch unbedeutend zutage treten (BAG v. 20.5.1988 – 2 AZR 682/87, AP Nr. 9 zu § 1 KSchG 1969 personenbedingte Kündigung; BAG v. 28.4.1998 – 2 AZR 384/97, AP Nr. 2 zu § 14 SchwerbG).
Nach Ansicht des BAG muss der Arbeitgeber ggf. auch einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechtes freimachen und sich diesbezüglich um die erforderliche Zustimmung des Betriebsrates bemühen (BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709; krit. zu dieser Rspr. v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 278 ff.). Zu einer weiter gehenden Umorganisation oder zur Durchführung eines Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG ist der Arbeitgeber jedoch nicht verpflichtet (BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, NZA 1997, 709).
Ebenso wenig ist der Arbeitgeber verpflichtet, durch eine Freikündigung unter Anwendung der Grundsätze des § 1 Abs. 2 KSchG einen freien Arbeitsplatz für den erkrankten Arbeitnehmer zu schaffen (BAG v. 29.1.1997 – 2 AZR 9/96, AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).
Rz. 136
Kommt eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu geänderten Arbeitsbedingungen in Betracht, hat der Arbeitgeber ggf. eine Änderungskündigung auszusprechen (BAG v. 22.9.2005 – 2 AZR 519/04, AP SGB IX, § 81 Rn 10; KR/Griebeling, § 1 KSchG Rn 272; v. Hoyningen-Huene/Linck, § 1 KSchG Rn 281; ErfK/Oetker, § 1 KSchG Rn 106).
Rz. 137
Beispiel 1
Der bisher erlaubte zeitliche Umfang der Tätigkeit eines ausländischen Arbeitnehmers wird durch eine neue Arbeitserlaubnis auf eine Teilzeittätigkeit begrenzt.
Rz. 138
Beispiel 2
Der Arbeitnehmer wurde als Fahrer beschäftigt; er verliert seine Fahrerlaubnis; beim Arbeitgeber könnte er im Lager auf einem freien Arbeitsplatz beschäftigt werden. Sollte die Zuweisung des Lagerarbeitsplatzes durch den Arbeitgeber kraft Direktionsrecht nicht möglich sein, darf der Arbeitgeber gleichwohl keine Beendigungskündigung aussprechen, sondern muss als weniger einschneidendes Mittel die Änderungskündigung erklären.
Rz. 139
Es ist zudem zu prüfen, ob der Arbeitnehmer nach einer Teilnahme an zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen weiterbeschäftigt werden kann (BAG v. 10.3.1977 – 2 AZR 79/76, EzA § 1 KSchG, Krankheit Rn 4).
Rz. 140
Der Arbeitnehmer kann hingegen nicht verlangen, auf einem höherwertigen Arbeitsplatz beschäftigt zu werden (BAG v. 29.3.1990 – 2 A...