Dr. iur. Berthold Hilderink, Prof. Dr. Martin Becker
1. Fortführung durch Betriebserwerber statt Stilllegung durch Veräußerer
Rz. 1276
Ein Wiedereinstellungsanspruch kann auch bei einem Betriebsübergang in Betracht kommen, wenn der Kündigungsgrund nachträglich wegfällt, weil der Betrieb nicht stillgelegt, sondern von einem Betriebserwerber fortgeführt wird (eingehend Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128; vom Stein, in: FS Willemsen, 2018, S. 575 ff.). Im Fall eines Betriebsinhaberwechsels besteht ein gesteigerter Bestandsschutz der Arbeitnehmer. Unabhängig davon, ob das Arbeitsverhältnis dem KSchG unterfällt, ist die wegen eines Betriebsüberganges ausgesprochene Kündigung gem. § 613a Abs. 4 BGB unwirksam. In diesem Fall tritt der Betriebsübernehmer gem. § 613a Abs. 1 S. 1 BGB mit allen Rechten und Pflichten in das unwirksam gekündigte Arbeitsverhältnis ein. Die Frage eines Wiedereinstellungsanspruches stellt sich nur, wenn die Kündigung des ursprünglichen Arbeitgebers wirksam ist, es aber nachträglich zu einem bei Ausspruch der Kündigung nicht vorhersehbaren Verkauf des Betriebs an einen Erwerber kommt, welcher die geschäftlichen Aktivitäten in vollem Umfang oder in eingeschränkter oder veränderter Form fortsetzt. Das BAG bejaht in st. Rspr. einen Fortsetzungsanspruch der vom Betriebsveräußerer entlassenen Arbeitnehmer (BAG v. 13.11.1997 – 8 AZR 295/95, NZA 1998, 251; BAG v. 20.11.1998 – 8 AZR 265/97, NZA 1999, 311; BAG v. 25.10.2007, NZA 2008, 357; BAG v. 27.1.2011 – 8 AZR 326/09, NZA 2011, 1162).
Rz. 1277
Diese Rspr. ist vor allem relevant für den Fall der geänderten Auftragsvergabe, wenn der Auftragsnachfolger einen wesentlichen Teil der Hauptbelegschaft des früheren Auftragnehmers übernimmt und damit einen Betriebsübergang auslöst (Krieger/Willemsen, NZA 2011, 1128, 1130). Das BAG leitete einen Anspruch der gekündigten Arbeitnehmer auf Fortsetzung ihrer Arbeitsverhältnisse zu unveränderten Bedingungen und unter Wahrung ihrer Besitzstände mit dem Auftragsnachfolger zunächst aus einer richtlinienkonformen Auslegung des § 613a Abs. 1 BGB her, zwischenzeitlich stehen auch hier die oben (siehe Rdn 1235 ff.) genannten Erwägungen im Vordergrund (BAG v. 25.10.2007 – 8 AZR 989/06, NZA 2008, 357). Entsteht die Weiterbeschäftigungsmöglichkeit erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, kommt nur ausnahmsweise ein Wiedereinstellungsanspruch in Betracht (BAG v. 21.8.2008 – 8 AZR 201/07; NZA 2009, 29; BAG v. 25.9.2008 – 8 AZR 607/07, NZA-RR 2009, 469). Geht ein Kleinbetrieb auf einen anderen Inhaber über, ist ein Wiedereinstellungsanspruch grds. ausgeschlossen; im Einzelfall mag sich ein solcher Anspruch ausnahmsweise aus § 242 BGB gegenüber dem Veräußerer ergeben können (BAG v. 19.10.2017 – 8 AZR 845/15, NZA 2018, 346).
2. Wirksamkeit der Kündigung des Betriebsveräußerers
Rz. 1278
Eine Kündigung erfolgt gem. § 613a Abs. 4 S. 1 BGB wegen eines Betriebsüberganges, wenn dieser der tragende Grund und nicht nur der äußere Anlass für die Kündigung ist. § 613a Abs. 4 BGB hat ggü. § 613a Abs. 1 BGB eine Komplementärfunktion. Abs. 4 soll verhindern, dass der in Abs. 1 des § 613a BGB angeordnete Bestandsschutz durch eine Kündigung unterlaufen wird. Die Vorschrift enthält ein eigenständiges Kündigungsverbot i.S.d. §§ 13 Abs. 3 KSchG, 134 BGB und beinhaltet nicht bloß den besonderen Fall der Sozialwidrigkeit einer Kündigung (BAG v. 28.10.2004 – 8 AZR 391/03, NZA 2005, 285). Das Kündigungsverbot greift nicht ein, wenn es einen sachlichen Grund gibt, der aus sich heraus geeignet ist, die Kündigung zu rechtfertigen (BAG v. 20.3.2003 – 8 AZR 97/02, NZA 2003, 1027). Der Betriebsinhaber ist durch § 613a Abs. 4 S. 1 BGB nicht gehindert, auch im Zusammenhang mit der Veräußerung des Betriebes Rationalisierungsmaßnahmen, Stilllegungsmaßnahmen oder andere Personalanpassungsmaßnahmen zur Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des Betriebes durchzuführen und aus diesen Gründen betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen (BAG v. 18.7.1996 – 8 AZR 127/94, NZA 1997, 148).
Rz. 1279
Das BAG hat in der Vergangenheit den Anwendungsbereich des § 613a Abs. 4 BGB zur Vermeidung von Umgehungsgeschäften ausgedehnt. Es muss aber gesehen werden, dass § 613a Abs. 4 BGB an fest umschriebene objektive und subjektive Tatbestandsvoraussetzungen anknüpft, die zum Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung vorliegen müssen. Es muss objektiv ein Betriebsübergang vorliegen, der bereits bei Ausspruch der Kündigung feststehen oder zumindest "greifbare Formen" angenommen haben muss (BAG v. 29.9.2005 – 8 AZR 647/04, NZA 2006, 720). Kommt es tatsächlich nicht zu einem Betriebsübergang, kann § 613a Abs. 4 BGB nicht zur Anwendung kommen.
Rz. 1280
Subjektiv wird eine Kündigung wegen eines Betriebsüberganges nur dann ausgesprochen, wenn der Betriebsübergang nicht nur äußerer Anlass, sondern das Motiv für die Kündigung war, weil ein Übernahmeangebot vorlag und der potenzielle Erwerber bspw. bestimmte Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigen wollte.
Rz. 1281
Ist der Betriebsinhaber entschlossen, den Betrieb nicht mehr fortzuführen, wird er regelmäßig nach interessierten Betriebserwerbern Ausschau halten. Ergeben sich keine konkreten Angebote, kann er den Betrieb st...