Rz. 24
Die nach dem Rotationsprinzip gebildeten Kammern bestehen aus sieben Richtern, darunter mindestens ein Sektionspräsident und ein Richter des am Verfahren beteiligten Staates (Art. 26 Abs. 1a VerfO). Ergeht weder eine Entscheidung nach Art. 27 oder 28 EMRK noch ein Urteil nach Art. 28 EMRK, kommt die Beschwerde vor die Kammer (Art. 29 EMRK) (vgl. Rdn 23). Die Kammern bilden die eigentlichen Spruchkörper des Gerichtshofs. Im Regelfall sind sie dazu berufen, die endgültige Sachentscheidung über eine Beschwerde zu treffen. Der Kammer liegt der Bericht des Berichterstatters vor (Art. 49 Abs. 3 lit. c VerfO). Auf Grundlage dessen entscheidet die Kammer in der Regel gleichzeitig über die Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde (Art. 29 Abs. 1 EMRK, 54A VerfO). Eine Zwischenentscheidung allein über die Zulässigkeit ist die Ausnahme (Art. 29 Abs. 1 S. 2 EMRK, 54 Abs. 5 VerfO).
1. Mündliche Verhandlung vor der Kammer
Rz. 25
Eine mündliche Verhandlung kann gem. Art. 59 Abs. 3 VerfO auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen anberaumt werden, wenn die Kammer dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach der EMRK für erforderlich hält (Art. 54 Abs. 5 VerfO). Eine mündliche Verhandlung findet in Verfahren vor der einfachen Kammer nur in den seltensten Fällen statt. Mündliche Verhandlungen sind grundsätzlich öffentlich (Art. 63 Abs. 1 VerfO). Möglich bleibt der Ausschluss der Öffentlichkeit aus Gründen der Moral, der öffentlichen Ordnung, der nationalen Sicherheit oder des Schutzes der Jugend bzw. der Privatsphäre (Art. 63 Abs. 2 VerfO).
Erscheint eine Streitpartei oder eine andere Person, die hätte anwesend sein müssen, nicht zu der mündlichen Verhandlung, kann diese dennoch durchgeführt werden, wenn der Kammer das Vorgehen mit der geordneten Rechtspflege vereinbar erscheint (Art. 65 VerfO).
2. Vertretungszwang
Rz. 26
Der Beschwerdeführer darf selbst Beschwerde einlegen (Art. 36 Abs. 1 VerfO). Ab Zustellung der Beschwerde an den Mitgliedstaat und insbesondere in der mündlichen Verhandlung muss er im Grundsatz gem. Art. 36 Abs. 2 und 3 VerfO durch einen Rechtsanwalt vertreten werden. Die Vertretung kann jedoch auch eine andere Person übernehmen, sofern der Kammerpräsident dies gestattet (Art. 36 Abs. 3 VerfO). Für Anwälte besteht vor Gericht kein Robenzwang.
3. Ablauf der Verhandlung
Rz. 27
Zur Verhandlung zugelassen sind der Beschwerdeführer und sein Rechtsvertreter sowie der Verfahrensbevollmächtigte der Regierung und ggf. weitere Berater. Der Gerichtshof übersendet den Parteien eine Liste von Fragen, die in der Verhandlung zentral behandelt werden sollen und auf die sich das Plädoyer konzentrieren sollte. Zudem werden die Parteien aufgefordert, dem Gerichtshof rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung eine Kopie des Plädoyers zu übersenden. Er informiert die Parteien über den genauen Ablauf der Verhandlung. Eine Verhandlung dauert ca. zwei Stunden. Üblicherweise hat jede Partei insgesamt 30 bis 40 Minuten Redezeit zur Verfügung. Zunächst plädiert der Beschwerdeführer oder sein Vertreter (im Stehen), dann der Verfahrensbevollmächtigte der betroffenen Regierung, woraufhin der Beschwerdeführer respektive sein Vertreter repliziert und schließlich der Verfahrensbevollmächtigte der Regierung dupliziert. Mitglieder der Kammer dürfen jederzeit Fragen an die Anwesenden richten (Art. 64 Abs. 2 VerfO). Mit Erlaubnis des Kammerpräsidenten ist es zulässig, in deutscher Sprache zu plädieren (Art. 34 Abs. 3 lit. a VerfO). In diesem Fall wird der Parteivortrag in die Amtssprachen des Gerichtshofes simultan übersetzt.
4. Entscheidung der Kammer zur Zulässigkeit
Rz. 28
Nach der mündlichen Verhandlung berät die Kammer hinter verschlossenen Türen. Sie entscheidet zunächst, ob die Beschwerde zulässig ist. Bei Unzulässigkeit ist das Verfahren beendet, bei Zulässigkeit bildet sich die Kammer eine vorläufige Meinung über die Begründetheit des Antrags. Der Kanzler teilt die Zulässigkeitsentscheidung den Parteien sowie in einem – mit den Parteien – abgesprochenen Pressekommuniqué der Öffentlichkeit mit. Meist erfahren die Parteien zudem die vorläufige Meinung der Kammer zu den materiell-rechtlichen Aspekten des Falles. Eine Zwischenentscheidung allein über die Zulässigkeit bildet die Ausnahme (Art. 29 Abs. 1 S. 2 EMRK, Art. 54 Abs. 5 VerfO).
5. Gütliche Einigung
Rz. 29
Eine gütliche Einigung gem. Art. 39 EMRK und Art. 62 VerfO ist jederzeit während des...