1. Auftrag ist entscheidend
Rz. 54
Grundsätzlich ist der erteilte Auftrag dafür entscheidend, welche Gebühren anfallen (z.B. Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV RVG oder vorzeitige Beendigung bei unbedingtem Klageauftrag Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG). Die Frage nach dem erteilten Auftrag ist daher für den Ansatz der richtigen Gebühr maßgeblich.
Rz. 55
Bitte beachten Sie: Zum 1.8.2013 hat der Gesetzgeber durch das 2. KostRMoG in Vorbem. 3 Abs. 1 VV RVG klargestellt, dass nur der Rechtsanwalt Gebühren nach Teil 3 VV RVG beanspruchen kann, dem ein unbedingter Klageauftrag erteilt wurde. Folge der konsequenten Anwendung dieser Klarstellung im Gesetz ist, dass es ein Aufforderungsschreiben mit Klageauftrag (welches bei Zahlung durch den Schuldner eine 0,8 Verfahrensgebühr wegen vorzeitiger Beendigung auslöst) nicht mehr geben kann, obwohl dies bekanntermaßen mehr als 30 Jahre lang so unterrichtet wurde. Denn sobald dem Schuldner noch eine Frist gesetzt und Klage erst nach fruchtlosem Fristablauf angekündigt wird, liegt allenfalls ein bedingter Klageauftrag vor, nicht aber ein unbedingter Klageauftrag. Um irgendeine Gebühr nach Teil 3 VV RVG auszulösen, und damit auch die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG, muss der Anwalt aber eine unbedingten Klageauftrag haben. "Unbedingt" bedeutet: An keine Bedingung mehr geknüpft. Kein "wenn, dann". Viele stellen sich die Frage, warum es dann die 0,8 Verfahrensgebühr überhaupt gibt. Die Antwort ist einfach. Irgendwann kommt der Punkt, an dem feststeht, dass die außergerichtlichen Bemühungen gescheitert sind. Der Mandant erteilt den unbedingten Auftrag, nunmehr Klage zu erheben. Es dauert ein paar Tage bis eine solche Klage diktiert, geschrieben und eingereicht ist. Wenn vor der Einreichung aber nach Erteilung des unbedingten Klageauftrags der Gegner sich mit dem Anwalt in Verbindung setzt und man sich z.B. einigt, so dass eine Klage nicht mehr eingereicht werden muss, kann der Rechtsanwalt die 0,8 Verfahrensgebühr nach Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG abrechnen. Sollte er zuvor eine Geschäftsgebühr verdient haben, müsste er diese natürlich gem. Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV RVG anrechnen.
2. Angelegenheit und Gegenstand
Rz. 56
Ein wichtiger Grundsatz bei der Abrechnung der Anwaltsgebühren ist darüber hinaus die Unterscheidung zwischen Angelegenheit und Gegenstand sowie zwischen einer und mehrerenAngelegenheiten, um korrekt abrechnen zu können. Die Definition bereitet in der Praxis manchmal Schwierigkeiten.
Rz. 57
Von einer Angelegenheit spricht man auch, wenn
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ein einheitlicher Auftrag erteilt wurde, |
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der gleiche Rahmen bei der Verfolgung mehrerer Ansprüche eingehalten wird, |
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zwischen den einzelnen Gegenständen/Ansprüchen ein innerer Zusammenhang besteht. |
Rz. 58
Es kann sein, dass z.B. in einer Angelegenheit mehrere Gegenstände geltend gemacht werden (z.B. in einer Unfallsache Sachverständigenkosten, Fahrzeugschaden, Nutzungsausfall, Schmerzensgeld etc.). Der Gesetzgeber hilft bei der Frage, ob eine oder mehrere Angelegenheiten vorliegen, mit den Regelungen in den §§ 16–18 RVG, doch dazu später mehr.
3. Einmaligkeit des Gebührenanfalls
Rz. 59
Nach § 15 Abs. 1 RVG gelten die Gebühren, soweit das RVG nichts anderes bestimmt, die gesamte Tätigkeit des Rechtsanwalts vom Auftrag bis zur Erledigung der Angelegenheit ab. Der Rechtsanwalt kann die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern (§ 15 Abs. 2 RVG). Das bedeutet z.B., dass für die Wahrnehmung mehrerer Gerichtstermine in einer Zivilsache innerhalb einer Instanz die Terminsgebühr nur einmal abgerechnet werden kann. Erst eine neue Instanz eröffnet eine neue gebührenrechtliche Angelegenheit, § 17 Nr. 1 RVG.
Rz. 60
Etwas anderes ist die Wahrnehmung von Terminen in Strafsachen. Da hier in den entsprechenden Nummern des Vergütungsverzeichnisses geregelt ist, dass die Terminsgebühr je Hauptverhandlungstag anfällt, kann der Anwalt in Strafsachen die Terminsgebühr mehrfach abrechnen. Das ist aber eine Sonderregelung in Straf- und auch Bußgeldsachen nach Teil 5 VV RVG.
4. Kürzung nach § 15 Abs. 3 RVG
Rz. 61
In den Fällen, in denen für Teile des Gegenstands verschiedeneGebührensätze anzuwenden sind, erhält der Rechtsanwalt für die Teile gesondert berechnete Gebühren, jedoch nicht mehr als die aus dem Gesamtbetrag der Wertteile nach dem höchsten Gebührensatz berechnete Gebühr, § 15 Abs. 3 RVG. Man nennt dies "Kürzung, Abgleich oder Obergrenze nach § 15 Abs. 3 RVG prüfen".
Rz. 62
Beispiel
RA Merk wird beauftragt, eine Klage über 350.000,00 EUR einzureichen. Vor Klageerhebung zahlt der Gegner S einen Betrag in Höhe von 30.000,00 EUR, so dass Klage nur noch über den Restbetrag erhoben wird. RA Merk kann wie folgt abrechnen:
1,3 Verfahrensgebühr aus 320.000,00 EUR |
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(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1 RVG) Nr. 3100 VV RVG |
3.240,90 EUR |
0,8 Verfahrensgebühr aus 30.000,00 EUR |
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(§§ 2 Abs. 2, 13 Abs. 1 RVG) Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG |
690,40 EUR |
Summe |
3.931,30 EUR |
nach § 15 Abs. 3 RVG höchstens: |
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1,3 Verfahrensgebühr aus 350.000,00 EUR = |
3.396,90 EUR |
Ergebnis der Prüfung nach § 15 Abs. 3 RVG: Hier ist eine Kürzung der 0,8 Verfahrensgebühr erforderlich, da die beiden einzeln berechneten Gebühren üb...