Rz. 808
Eine weitere allgemeine Ausnahme von der Besteuerung sieht § 3 Nr. 6 GrEStG für Erwerbe durch solche Personen vor, die mit dem Veräußerer in gerader Linie verwandt sind. Gleichgestellt sind Abkömmlinge, bei denen die Verwandtschaft durch ihre Adoption bürgerlich-rechtlich erloschen ist, sowie Stiefkinder (§ 3 Nr. 6 S. 2 GrEStG) und die Ehegatten bzw. Lebenspartner der in gerader Linie Verwandten (bzw. nach § 3 Nr. 6 S. 1 2. Alt. sowie S. 2 GrEStG der gleichgestellten Personen).
Rz. 809
Verwandtschaft in gerader Linie bestimmt sich nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften und besteht zwischen Personen, von denen eine von der anderen abstammt (§ 1589 S. 1 BGB). Das gilt sowohl in absteigender (Abkömmlinge) als auch in aufsteigender Linie (Eltern, Großeltern etc.). Nicht eheliche Kinder sind sowohl mit ihrer Mutter als auch mit ihrem Vater in gerader Linie verwandt. Die erbrechtlichen Einschränkungen für vor dem 1.7.1949 geborene nichteheliche Kinder (Art. 12 § 10 Abs. 2 S. 1 NEhelG) spielen im Bereich der Grunderwerbsteuer keine Rolle. Wird ein minderjähriges Kind adoptiert, entsteht hierdurch mit dem Annehmenden eine Verwandtschaft in gerader Linie, bei einer Annahme durch Ehegatten erlangt das Kind die Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes der Eheleute (§ 1754 Abs. 1 u. 2 BGB). Dies führt zur gleichzeitigen Begründung eines Verwandtschaftsverhältnisses auch zu den Verwandten des bzw. der Annehmenden mit der Folge, dass § 3 Nr. 6 S. 1 1. Alt. GrEStG anwendbar ist. Das Erlöschen der bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse nach § 1755 Abs. 1 BGB führt im Verhältnis zu den bisherigen Verwandten zur Unanwendbarkeit von § 3 Nr. 6 S. 1 1. Alt. GrEStG. Allerdings gilt insoweit § 3 Nr. 6 S. 1 2. Alt. GrEStG, sodass sowohl im Verhältnis zu den aufgrund der Adoption in gerader Linie Verwandten als auch im Verhältnis zu den früheren Verwandten die Steuerbefreiung nach § 3 Nr. 6 S. 1 GrEStG zum Tragen kommen kann.
Rz. 810
Den eigenen Abkömmlingen gleichgestellt sind gemäß § 3 Nr. 6 S. 2 GrEStG auch die Stiefkinder. Bei diesen handelt es sich um die Kinder des anderen Ehegatten, die aber nicht gemeinsame Kinder beider Eheleute sind. Die Stiefkindeigenschaft bleibt auch nach der Beendigung der sie vermittelnden Ehe bestehen. Die Steuerbegünstigung kann daher auch dann zum Tragen kommen, wenn die die Stiefkindeigenschaft begründende Ehe im Zeitpunkt des zu beurteilenden Erwerbsvorgangs nicht mehr besteht. Ebenfalls begünstigt sind auch die Stiefenkel, also die Abkömmlinge von Stiefkindern sowie die Stiefkinder von Abkömmlingen. Dieselben Grundsätze gelten auch für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften bzw. die Kinder und Stiefkinder der Lebenspartner.
Rz. 811
Nach § 3 Nr. 6 S. 3 GrEStG sind die Ehegatten bzw. Lebenspartner der in § 3 Nr. 6 S. 1 u. 2 GrEStG genannten Personen diesen gleichgestellt. Wer Ehegatte bzw. Lebenspartner in diesem Sinne ist, beurteilt sich grundsätzlich nach denselben Kriterien wie im Rahmen von § 3 Nr. 4 GrEStG. Die Ehe- oder Lebenspartnerschaft mit der begünstigten Person muss im Zeitpunkt des steuerbaren Erwerbs wirksam bestehen. Eine analoge Anwendung von § 3 Nr. 5 bzw. 5 a GrEStG kommt hier (eigentlich) nicht in Betracht. Nichtsdestotrotz wendet die Finanzverwaltung § 3 Nr. 6 S. 3 GrEStG auch in solchen Fällen an, in denen die Ehe mit den Verwandten in gerader Linie durch dessen Tod beendet wurde.
Rz. 812
§ 3 Nr. 6 GrEStG ist stets in der Zusammenschau mit anderen Befreiungsvorschriften zu sehen. Dies kann dazu führen, dass ein Erwerbsvorgang, der bei isolierter Prüfung von § 3 Nr. 6 GrEStG sowie bei isolierter Betrachtung einer anderen Befreiungsvorschrift nicht steuerbefreit wäre, im Rahmen der angesprochenen Zusammenschau (Interpolation) steuerfrei bleibt.
Beispiel 1
Die Witwe des Erblassers schlägt die Erbschaft aus. An ihrer Stelle erben die Kinder, die ihr als Abfindung für die Ausschlagung ein Nachlassgrundstück überlassen.
Lösung
Der Grundstückserwerb ist nach § 3 Nr. 6 S. 1 1. Alt. in Verbindung mit § 6 Abs. 2 GrEStG steuerfrei.
Beispiel 2
Eine Erbengemeinschaft hält ein Nachlassgrundstück. Dieses wird nicht auf einen der Miterben, sondern an dessen Stelle auf eine mit dem Miterben in gerader Linie verwandte Person übertragen.
Lösung
Der Erwerbsvorgang ist steuerfrei nach § 3 Nr. 3 S. 1 in Verbindung mit Nr. 6 S. 1 GrEStG.