Rz. 161
Ein qualifiziertes Zeugnis muss sich auf die Beurteilung von "Verhalten und Leistung" (§ 109 Abs. 1 S. 3 GewO) erstrecken. Beide Grundelemente zusammen machen erst das qualifizierte Zeugnis aus. Es reicht nicht aus, dass sich aus der positiven Leistungsbeurteilung gewisse positive Rückschlüsse auf die "Führung" des Arbeitnehmers schließen lassen (LAG Düsseldorf v. 30.5.1990, LAGE § 630 BGB Nr. 10).
Rz. 162
Mit "Führung" (s. zum Ausdruck § 630 S. 2 BGB a.F., § 113 Abs. 2 GewO a.F., § 73 S. 2 HGB a.F.) wird das allgemeine Verhalten, die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, die Vertrauenswürdigkeit, Verantwortungsbereitschaft und die Beachtung betrieblicher Ordnung angesprochen. Bei den Angaben über das Verhalten von Beschäftigten ist insb. ihr Verhältnis ggü. Mitarbeitern und Vorgesetzten sowie ihr Einfügen in den betrieblichen Arbeitsablauf zu beurteilen, wie es in der Begründung zu § 109 Abs. 1 GewO heißt (BT-Drucks 14/8796, 25). Die "dienstliche Führung" eines Arbeitnehmers ist auch dann betroffen, wenn dieser unbefugt ein Dienstfahrzeug seines Arbeitgebers in fahruntüchtigem Zustand zu einer Privatfahrt benutzt und deswegen strafgerichtlich verurteilt wird (BAG v. 29.1.1986, AP Nr. 2 zu § 48 TVAL II m. Anm. Beitzke). Der herkömmliche Begriff "Führung" ist weitgehend überholt, wie bereits das Zeugnismuster zeigt, in dem die Ober- und Unterelemente "Verhaltensbeurteilung" und "Sozialverhalten" enthalten sind. Es ist zu begrüßen, dass der Gesetzgeber den veralteten Begriff "Führung" durch den zeitgemäßen Begriff "Verhalten" ersetzt hat (vgl. § 109 Abs. 1 S. 3 GewO).
Rz. 163
Bescheinigt z.B. ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer in einem Zwischenzeugnis oder Schlusszeugnis, er habe ihn als "fleißigen, ehrlichen und gewissenhaften Mitarbeiter" angesehen, so muss er sich hieran festhalten lassen. Es tritt eine gewisse Selbstbindung des Arbeitgebers ein, der deshalb den Arbeitnehmer weder auf Schadensersatz in Anspruch nehmen (BAG v. 8.2.1972, AP Nr. 7 zu § 630 BGB = EzA § 630 BGB Nr. 3) noch kurz nach dieser Beurteilung wegen des bekannten, aber im Zeugnis beschönigten Verhaltens dem Arbeitnehmer kündigen kann (LAG Bremen v. 22.11.1983, BB 1984, 473). Eine solche Bindung tritt nur dann nicht ein, wenn der Arbeitgeber das erteilte Zwischenzeugnis widerrufen kann (LAG Hamm v. 1.12.1994, LAGE § 630 BGB Nr. 25).
a) Vertrauenswürdigkeit
Rz. 164
Das Zeugnis muss wahr sein und darf dort keine Auslassungen enthalten, wo der Leser eine positive Hervorhebung – etwa der Ehrlichkeit – erwartet. Die Zuverlässigkeit eines ausscheidenden Arbeitnehmers kann für den neuen Arbeitgeber von besonderer Wichtigkeit sein. Dies gilt vor allem dann, wenn der Arbeitnehmer bisher mit Geld oder anderen Vermögenswerten umgegangen ist und dies auch künftig tun soll.
Rz. 165
Die besondere Erwähnung der Ehrlichkeit kann gefordert werden, wenn branchenüblich davon ausgegangen wird, dass beim Fehlen des Wortes Zweifel an der Ehrlichkeit des Arbeitnehmers bestehen (vgl. LAG Hamm v. 31.1.2019 – 11 Sa 795/18; juris). Das ist insb. bei Handlungsgehilfen, Kassierern, Laden- und Fahrverkäufern, Auslieferungsfahrern, Filialleitern, Außendienstmitarbeitern (wegen Spesenabrechnungen), Hotelpersonal, Hausgehilfen der Fall (LAG Hamm v. 29.7.2005, dbr 2006, Nr. 7, 40 m. Anm. Lenz = RDV 2006, 213). Der neue Arbeitgeber erwartet bei Arbeitnehmern, die bisher mit Geld oder anderen Vermögenswerten umgegangen sind und dies auch künftig tun sollen, eine Aussage über die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit des Arbeitnehmers. Diese Ehrlichkeit ist – nur – in diesen Fällen expressis verbis zu bescheinigen, wenn der bisherige Arbeitgeber keine gegen ein ehrliches Verhalten sprechenden Tatsachen vorträgt. Ohne einen solchen Vermerk besteht für Arbeitnehmer im Einzelhandel praktisch keine Chance auf eine Anstellung (LAG Hamm v. 29.7.2005, dbr 2006, Nr. 7, 40 = RDV 2006, 213). Mit anderen Worten, die Ehrlichkeit ist nur, aber immer dann zu bescheinigen, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar mit der Bearbeitung bzw. Verwaltung von Kassenvorgängen oder Warenlagern oder sonstigen Vermögenswerten betraut gewesen ist und wenn keine Tatsachen vorliegen, die gegen ein ehrliches Verhalten sprechen (BAG v. 29.7.1971, AP Nr. 6 zu § 630 BGB m. Anm. Schnorr von Carolsfeld = EzA § 630 BGB Nr. 1; BAG v. 8.2.1972, AP Nr. 7 zu § 630 BGB = EzA § 630 BGB Nr. 3). Bescheinigt nämlich ein Arbeitgeber seinem ehemaligen Arbeitnehmer im Zeugnis äußerte Zuverlässigkeit in einer treu erfüllten Vertrauensstellung, obwohl dieser einige Jahre zuvor einen hohen Geldbetrag entwendet hatte, ist das Zeugnis grob falsch und geeignet einen künftigen Arbeitgeber zu täuschen. Entsteht dem neuen Arbeitgeber durch eine erneute Entwendung seitens des Arbeitnehmers ein Schaden, haftet ihm der frühere Arbeitgeber aus dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie wegen sittenwidriger Schädigung auf Schadensersatz, sofern das falsche Zeugnis für die Neu- bzw. Weiterbeschäftigung ursächlich war (OLG München v. 30...