Rz. 292
Der Arbeitgeber hat das Recht, ein Zwischenzeugnis schon dann zurückzuverlangen, wenn durch das Verhalten des Arbeitnehmers nach Ausstellung des Zeugnisses die Verhaltensbeurteilung nicht mehr den Tatsachen entspricht oder sich die Leistungsbeurteilung wegen nachhaltiger Mängel bzgl. Arbeitsbereitschaft, -befähigung, -weise, -vermögen oder -erfolg geändert hat (LAG Hamm v. 1.12.1994, LAGE § 630 BGB Nr. 25).
Rz. 293
Bei einem Schlusszeugnis besteht ein Widerrufsrecht dagegen nur mit Einschränkungen: Der Widerruf kommt lediglich dann in Betracht, wenn das Zeugnis (grobe) Unrichtigkeiten schwerwiegender Art enthält, die die Verlässlichkeit des Zeugnisses in ihrem Kern berühren (BGH v. 15.5.1979, AP Nr. 13 zu § 630 BGB = LM Nr. 82 zu § 278 BGB m. Anm. Dunz = EzA § 630 BGB Nr. 10). Nur wenn das unrichtige Zeugnis ein unzutreffendes Gesamtbild von Art und Dauer, Führung und Leistung abgibt, welches geeignet ist, die Haftung des Ausstellers aus unrichtigem Zeugnis zu begründen, kann es widerrufen werden.
Rz. 294
Dies wird z.B. der Fall sein, wenn einem Handlungsgehilfen Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit bescheinigt wurden und sich später herausstellt, dass er Diebstähle oder Unterschlagungen zulasten des Arbeitgebers begangen hat. Im Fall des Nichtwiderrufes würde sich der Arbeitgeber in einem solchen Fall schadensersatzpflichtig machen (vgl. dazu OLG Hamburg v. 14.12.1954 – 1 U 212/54, NJW 1956, 348 m. Anm. Neumann-Duesberg; BGH v. 26.11.1963, AP Nr. 10 zu § 826 BGB; BGH v. 22.9.1970, AP Nr. 16 zu § 826 BGB). Dies gilt auch für den Fall der Unrichtigkeit des Ausscheidungszeitpunktes bei Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzprozesses und dann, wenn sich während dieser Zeit neue Gesichtspunkte zur Beurteilung des Arbeitnehmers ergeben (BAG v. 27.2.1987, AP Nr. 16 zu § 630 BGB m. Anm. van Venrooy = EzA § 630 BGB Nr. 11).
Rz. 295
Der Widerruf eines Zeugnisses ist also in den Fällen möglich, in denen eine weit über den Rahmen des Vertretbaren hinausgehende günstige Bewertung des Arbeitnehmers vorgenommen wurde, die sich nachträglich als falsch erweist, für einen anderen Arbeitgeber aber von ausschlaggebender Bedeutung für den Entschluss ist, den Bewerber einzustellen. Auch später bekannt gewordene sittliche Verfehlungen eines Ausbilders oder Erziehers, gegen den deshalb ein Strafverfahren eingeleitet worden ist, rechtfertigen den Widerruf eines Zeugnisses, weil dieser Umstand in einem Zeugnis bei einem solchen Personenkreis nicht unerwähnt bleiben darf (BAG v. 5.8.1976, AP Nr. 10 zu § 630 BGB m. Anm. Schnorr von Carolsfeld = EzA § 630 BGB Nr. 8).
Rz. 296
Es ist umstritten, ob der Widerruf eines Zeugnisses nur wegen tatsächlicher Unrichtigkeiten möglich ist oder auch bei falschen Wertungen erfolgen kann. Haben die tatsächlichen Unrichtigkeiten zu unzutreffenden Beurteilungen geführt und sind diese so gravierend, dass sie zu einer Haftung aus falschem Zeugnis führen können, ist ein Widerruf des Zeugnisses möglich (LAG Nürnberg v. 28.7.1972, AMBl By 1973, C27 = ARST 1973, S. 144 Nr. 1187). Eine unzutreffende Beurteilung aufgrund richtiger Tatsachen kann den Widerruf jedoch nicht begründen. Ist das Zeugnis i.Ü. wahrheitsgemäß, d.h. bei der Beschreibung von Art und Dauer vollständig und genau, ergibt sich der Widerspruch bei der Bewertung von Führung und Leistung zwischen Beurteilung und Beurteilungsgrundlagen aus dem Zeugnis selbst, dann können bei Dritten keine falschen Vorstellungen über den Arbeitnehmer erweckt werden, sodass eine Haftung des Ausstellers und damit auch ein Zeugniswiderruf ausscheiden (RGRK/Eisemann, § 630 BGB Rn 73).
Rz. 297
Ob ein bewusst wahrheitswidrig erstelltes Zeugnis widerrufen werden kann, ist umstritten. Der Widerruf wird z.T. für unzulässig gehalten, weil man nicht widerrufen könne, was man bewusst so gewollt habe (LAG Berlin v. 22.9.1950, BB 1951, 559; a.A. ArbG Lübeck v. 9.1.1979 – 1 Ca 2876/78, n.v.). Es wird lediglich für den Fall eine Ausnahme zugelassen, dass der Gebrauch des Zeugnisses gegen die guten Sitten verstößt, wenn der Arbeitgeber durch bestimmte Wortwahl oder Satzstellung einen falschen Eindruck hervorgerufen hat, ohne dies beim Ausstellen des Zeugnisses vorhersehen zu können oder wenn der Arbeitgeber für die Zeugniserteilung erforderliche Nachforschungen "unbewusst" unterlassen hat.
Rz. 298
Auf diese Überlegungen kann es nicht ankommen, denn es geht in erster Linie um den Schutz Dritter, denen der Arbeitnehmer das unrichtige Zeugnis als Bewerbungs- oder Kreditunterlage vorlegen will. I.Ü. ist der Arbeitnehmer aus nachwirkender Treuepflicht gehindert, ein vom Arbeitgeber als falsch erkanntes Zeugnis weiterhin zu nutzen und muss seinerseits das Zumutbare tun, den ehemaligen Arbeitgeber vor Schadensersatzansprüchen zu schützen, sobald die Unrichtigkeit des Zeugnisses feststeht. Man kann den Arbeitgeber, der bewusst ein unzutreffendes Zeugnis ausgestellt hat, nicht daran hindern, diesen Fehler zu korrigieren, wenn man ihn andererseits der Haftungsgefahr für dieses Z...