Rz. 212
Die Praxis hilft sich oft mit nichtssagenden Formulierungen, in denen das wichtig ist, was nicht gesagt ist (BGH v. 26.11.1963, AP Nr. 10 zu § 826 BGB). Aus dem Fehlen relevanter Sachverhalte werden negative Schlüsse gezogen. Mit anderen Worten, man muss "zwischen den Zeilen lesen". Die Gerichte kennzeichnen diese Formulierungspraxis als "beredtes Schweigen" (BGH v. 22.9.1970, AP Nr. 16 zu § 826 BGB m. Anm. E. Wolf). Soweit für eine Berufsgruppe oder in einer Branche der allgemeine Brauch besteht, bestimmte Leistungen oder Eigenschaften des Arbeitnehmers im Zeugnis zu erwähnen, ist deren Auslassung regelmäßig ein (versteckter) Hinweis für den Zeugnisleser, der Arbeitnehmer sei in diesem Merkmal unterdurchschnittlich oder allenfalls durchschnittlich zu bewerten (BAG v. 12.8.2008 – 9 AZR 632/07).
Rz. 213
Eine Variante dieser Formulierungsweise besteht darin, Selbstverständlichkeiten hervorzuheben, z.B. Pünktlichkeit bei einer Führungskraft, die Kenntnis der Krankenhygiene bei einer Krankenschwester, das pädagogische Geschick einer Kindergärtnerin im Umgang mit den Kindern, die Kenntnis der einschlägigen Richtlinien einer Sicherheitsfachkraft u.a. (Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2 f. m.w.N.). Durch solche Hervorhebungen wird, insb. wenn die Erwähnung weniger selbstverständlicher Qualifikationen fehlt, indirekt ausgedrückt: Der Arbeitnehmer verfügt lediglich über die notwendigsten Qualifikationen (Berscheid, WPrax Heft 17/1994, 2 f. m.w.N.). Damit wird also – was dem Verkehr geläufig ist – die Information verschleiert: Der Leser muss auch den unter dem Lob versteckten Tadel heraushören können (LAG Hamm v. 13.2.1992, LAGE § 630 BGB Nr. 16 m.w.N.).
Rz. 214
Berufsspezifisch sind die Merkmale, die für die einzelne Berufsgruppe charakteristisch und berufstypisch sind und daher auch erwartet werden; deren Fehlen aber bedeutet, dass der Beurteilte für diesen Beruf kaum qualifiziert ist (Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, S. 223 f.). Ein Kolonnenführer hat einen Anspruch auf Bescheinigung der Selbstständigkeit bei der Arbeitsleistung als berufsspezifisches Merkmal seiner Tätigkeit. Denn ein Kolonnenführer bestimmt die Arbeitsorganisation auf der jeweiligen Montagebaustelle und auch die Art und Weise anderer Tätigkeiten wie der Beladung des Fahrzeuges. Es ist berufsspezifisch für einen Kolonnenführer, einen eigenen nicht unwesentlichen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Art und Weise der eigenen Leistungserbringung oder auch der Leistungserbringung Dritter auszufüllen (LAG Hamm v. 20.6.2006 – 19 Sa 135/06, n.v.). Dagegen soll die besondere Erwähnung der Zuverlässigkeit neben der allgemeinen Leistungsbeurteilung einer besonderen Begründung bedürfen, denn es soll sich bei der Eigenschaft der Zuverlässigkeit nicht um ein berufsspezifisches Merkmal eines Kolonnenführers handeln, dessen Erwähnung erwartet werde und dessen Fehlen bedeute, dass der Beurteilte für diesen Beruf kaum qualifiziert sei (Schleßmann, Das Arbeitszeugnis, S. 223). Die Zuverlässigkeit umfasse vielmehr Aspekte der Sorgfalt und der Verlässlichkeit, wie sie bspw. bei einem Buchhalter charakteristischerweise zu erwarten seien (LAG Hamm v. 20.6.2006 – 19 Sa 135/06, n.v.).