Rz. 35

 

Achtung

Eine Abwesenheitsverhandlung ist nur nach zulässiger Entbindung des Betroffenen möglich (OLG Dresden zfs 2019, 172).

 

Rz. 36

Erscheint der von der Verpflichtung zum Erscheinen entbundene Betroffene nicht, wird die Hauptverhandlung in seiner Abwesenheit durchgeführt. Frühere Vernehmungen des Betroffenen und seine schriftlichen oder protokollierten Erklärungen sind durch Mitteilung ihres wesentlichen Inhaltes oder durch Verlesung in die Hauptverhandlung einzuführen.

 

Achtung: Vereinfachte Beweisaufnahme gem. § 77a OWiG

In OWi-Verfahren ist abweichend von § 250 StPO anstelle der Vernehmung von Zeugen auch die Verlesung ihrer schriftlichen Angaben zulässig. So kann z.B. das Messprotokoll verlesen werden, anstatt den Messbeamten zu vernehmen. Das Gesetz macht diese Art der Beweisaufnahme gem. § 77a Abs. 4 S. 1 OWiG nur dann von der Zustimmung anderer Verfahrensbeteiligter abhängig, wenn diese in der Hauptverhandlung anwesend sind (OLG Köln StV 2001, 342; OLG Köln zfs 2014, 530; OLG Koblenz zfs 2014, 530).

 

Rz. 37

Das Gericht muss die Hauptverhandlung auch dann durchführen, wenn für den von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbundenen Betroffenen kein Verteidiger an der Hauptverhandlung teilnimmt; den Einspruch des Betroffenen kann es deshalb nicht verwerfen, weil § 74 Abs. 2 OWiG nur auf das unentschuldigte Fernbleiben des Betroffenen selbst, nicht aber auf das des Verteidigers abstellt (OLG Frankfurt zfs 2000, 272; OLG Hamm zfs 2004, 90). Deshalb braucht in einer Rechtsbeschwerde auch nicht vorgetragen zu werden, welcher relevante Sachverhalt infolge der Verwerfung des Einspruchs nicht berücksichtigt worden ist (OLG Oldenburg DAR 2012, 37).

In der Hauptverhandlung kann sich der Betroffene durch einen schriftlich bevollmächtigten Verteidiger vertreten lassen (§ 77 Abs. 3 OWiG). Da es sich dabei um eine Vertretungsvollmacht handelt, kann der Verteidiger neben eigenen auch Erklärungen für den Betroffenen abgeben und die evtl. nach § 265 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO erforderlichen Hinweise können ihm als Vertreter des Betroffenen gegeben werden.

 

Rz. 38

 

Achtung: Im Vorfeld gestellter Beweisantrag

Ein vor der Hauptverhandlung gestellter Beweisantrag muss auch dann in der Hauptverhandlung wiederholt werden, wenn der Betroffene der Hauptverhandlung ferngeblieben, aber von einem Verteidiger vertreten war (OLG Bamberg DAR 2012, 154), anderenfalls braucht das Gericht über den Antrag nicht zu entscheiden und muss sich lediglich im Urteil für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar über die Gründe dazu erklären, weshalb es von der beantragten Beweisaufnahme abgesehen hat (BayObLG zfs 2000, 271).

 

Rz. 39

 

Achtung: Nicht angekündigte oder dem Betroffenen unbekannte Beweismittel

Im Abwesenheitsverfahren dürfen nur Beweismittel, die in der Ladung angekündigt waren, verwertet werden, anderenfalls ist das rechtliche Gehör verletzt (OLG Stuttgart zfs 2010, 48; OLG Zweibrücken zfs 2012, 170; OLG Hamm NZV 2012, 198; OLG Bamberg zfs 2014, 229). Das gilt selbst dann, wenn die Beweismittel im Bußgeldbescheid ordnungsgemäß angegeben waren (OLG Bamberg zfs 2010, 648). Ebenfalls nicht verwertet werden dürfen Urkunden, die dem Betroffenen bzw. seinem Anwalt nicht bekannt waren, mögen sie in der Hauptverhandlung auch von einem ordnungsgemäß geladenen Zeugen vorgelegt worden sein (OLG Bremen zfs 1998, 355; OLG Saarbrücken VRS 2005, 15). Das Gleiche gilt für offenkundige oder gerichtsbekannte Tatsachen, diese dürfen dem Urteil nur zugrunde gelegt werden, wenn die Verteidigung zuvor auf die Absicht hingewiesen wurde, sie als gerichtskundig einzuführen (BverfGE 48, 206; OLG Bamberg zfs 2014, 229).

 

Achtung: Anforderung an den Rügevortrag

Hier ist zu beachten, dass nach h.M. eine in der Hauptverhandlung erfolgte Einführung und Erörterung nicht zu den von dem BGH (BGHSt 36, 354) normierten Förmlichkeiten gem. § 273 StPO gehört. Insoweit gilt die negative Beweiskraft des Protokolls nicht, so dass eine entsprechende Rüge detaillierten Vortrags bedarf (OLG Köln zfs 2016, 351).

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