Dr. Wolfgang Kürschner, Prof. Dr. Günther Schneider
Rz. 14
Seit 1943 bietet die StPO dem Verletzten die nach dem Vorbild des österreichischen Rechts ausgerichtete Möglichkeit, vermögensrechtliche Ansprüche im Rahmen des Strafprozesses und damit unabhängig von dem dafür vorgesehenen Zivilprozess klären und titulieren zu lassen. Dieses in den §§ 403 ff. StPO normierte und als Adhäsionsverfahren benannte Verfahren trägt dem Gedanken des Sachzusammenhanges Rechnung: mit seiner Hilfe soll Doppelarbeit und widersprüchliche Entscheidungen vermeiden helfen und aus der Sicht des Geschädigten zu einer raschen, unkomplizierten Wiedergutmachung führen.
Rz. 15
In der Praxis kam das Adhäsionsverfahren zunächst nicht in nennenswertem Umfang zur Geltung. Mit dem Ersten Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren (Opferschutzgesetz) vom 18.12.1986 hat der Gesetzgeber deshalb einen ersten Versuch unternommen, "offensichtliche Anwendungshemmnisse" zu beseitigen: eine Erweiterung der Zuständigkeit der Amtsgerichte (streitwertunabhängig, § 403 Abs. 1 StPO), die Einführung der Gewährung von Prozesskostenhilfe im Rahmen des Strafverfahrens sowie Möglichkeit, Grund- und Teilurteile zu erlassen (§ 406 Abs. 1 StPO), sollten den Opfern schwerer Straftaten eine Verbesserung ihrer Rechtsstellung im Strafverfahren eröffnen.
Rz. 16
Obgleich das Opferschutzgesetz für die Opfer von Straftaten eine Reihe von Verbesserungsmaßnahmen mit sich brachte, wurde alsbald weiterer Reformbedarf erkannt. So suchte der Gesetzgeber mit einer weiteren Gesetzesänderung, und zwar dem Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren (Opferrechtsreformgesetz – OpferRRG) vom 24.06.2004, die Interessen der Opfer im Strafverfahren noch stärker zu berücksichtigen. Es kam zu einer weiteren Abkehr von einer Betrachtungsweise, die im Opfer vornehmlich die Stellung als Zeuge und damit letztlich als Beweismittel sah. Im hier maßgeblichen Zusammenhang suchte der Gesetzgeber eine Erhöhung der Akzeptanz des Adhäsionsverfahrens zu erreichen, indem die Ablehnung bei Schmerzensgeldansprüchen erschwert und die Zulässigkeit von Anerkenntnis (§ 405 StPO) und Vergleich (vgl. dazu auch § 24 Rdn 67) eingeführt wurden. Die Entscheidung über den Antrag sollte im Interesse des Verletzten die Regel und nicht mehr die Ausnahme darstellen. Tatsächlich dürfte die Zahl der Adhäsionsverfahren etwas zugenommen haben, insgesamt kam ihnen jedoch nach wie vor noch verhältnismäßig geringe Bedeutung zu.
Rz. 17
Im Schrifttum wird das reformierte Adhäsionsverfahren häufiger befürwortet als in der forensischen Praxis. So wird betont, dass die Systematik der §§ 403 ff. StPO einen praktikablen und eleganten Weg für den Verletzten biete, seine aus der Tat erwachsenen Ansprüche zu befriedigen. Da es im Strafprozess heute nicht mehr nur um den abstrakten Schutz der Rechtsgüter, sondern auch der individuellen Interessen gehe, werde das Adhäsionsverfahren nicht weiter als Fremdkörper im Strafprozessrecht gesehen, sondern als ein Grundstock für die Befriedigung der legitimen Interessen des Verletzten.
Rz. 18
Das in den §§ 403–406c StPO geregelte Adhäsionsverfahren eröffnet sowohl Tätern wie Geschädigten Vor- und Nachteile. Als Gegenstand eines Strafprozesses – mit seinen vom Zivilprozess unterschiedlichen Verfahrensgrundsätzen wie Amtsermittlung und Unschuldsvermutung – unterliegt die Durchsetzung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche nicht allen Möglichkeiten, die der Zivilprozess bietet. So ist beispielsweise eine Widerklage ausgeschlossen. Das Verfahren richtet sich grundsätzlich nach der StPO. § 308 Abs. 1 ZPO findet jedoch Anwendung: Dem Antragsteller darf nichts zugesprochen werden, was er nicht beantragt hat. Für die Sachaufklärung gilt § 244 Abs. 2 StPO, was bedeutet, dass das Strafgericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Für die Ermittlung und Überzeugung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem konkreten Haftungsgrund und dem daraus entstandenen Schaden sowie der Schadenshöhe gilt das geringere Beweismaß des § 287 ZPO. Die Bereitschaft des Angeklagten, an der Entschädigung des Verletzten mitzuwirken, kann Grundlage bei der Strafzumessung im Sinne des Täter-Opfer-Ausgleichs sein.
Rz. 19
Eine Schadenswiedergutmachung kann für den Beschuldigten überdies auch im Rahmen einer – gesetzlich in § 257c StPO kodifizierten – Urteilsabsprache strafmildernd wirken und bringt daher auch für den Angeklagten Vorteile mit sich. Die Bereitschaft des Angeklagten im Adhäsionsverfahren mit dem Nebenkläger einen Vergleich über die volle Schadenssumme zu schließen, drängt das Tatgericht allerdings nicht dazu, sich mit einer Strafmilderung nach §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB auseinanderzusetzen, da der Täter das Opfer nicht schon dann im Sinne des § 46a Nr. 2 StGB ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt, wenn er lediglich die Schadenswiedergutmachung zusagt.