Rz. 8
Auch im Bußgeldverfahren wird die Beweisaufnahme grundsätzlich nur in der Hauptverhandlung und nach den Regeln des Strengbeweises durchgeführt, so dass Beweismittel nur in der vom Gesetz vorgeschriebenen Form eingeführt und verwertet werden dürfen, d.h. die im Urteil getroffenen Feststellungen müssen auf Beweismitteln beruhen, die zum Inbegriff der Hauptverhandlung im Sinne der § 261 StPO, § 46 OWiG gemacht worden sind (OLG Koblenz zfs 2014, 176). Eine Bezugnahme, etwa auf Aktenteile, ist dagegen auch im Bußgeldverfahren unzulässig, lediglich auf Abbildungen wie z.B. Fahrerfotos, kann im Rahmen der Beweisaufnahme prozessordnungsgemäß (§ 267 Abs. 1, 3 StPO, § 46 OWiG) Bezug genommen werden (OLG Bamberg NZV 2008, 166; OLG Düsseldorf DAR 2011, 408).
Da die Art und Weise, wie die Beweisaufnahme erfolgt ist, zu den wesentlichen und in das Protokoll aufzunehmenden Förmlichkeiten gem. § 273 StPO, § 46 OWiG gehört und § 274 StPO sowie § 46 OWiG für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Protokolls streiten, ist das Urteil fehlerhaft, wenn sich aus dem Protokoll nicht ergibt, wie die Beweismittel zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht worden sind (OLG Hamm zfs 2010, 215; OLG Hamm zfs 2002, 171; OLG Celle NZV 2010, 414; OLG Koblenz zfs 2014, 176).
Achtung: Rechtsbeschwerde
Eine Rechtsbeschwerde, die rügt, das Urteil beruhe auf einem nicht ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführten Beweismittel, kann sich z.B. im Falle der Verwertung einer Urkunde nicht auf den Vortrag beschränken, diese sei nicht ordnungsgemäß gemäß § 249 StPO verlesen worden, sondern muss unter konkreter Benennung der möglichen Alternativen vortragen, dass das Beweismittel auch nicht in anderer vom Gesetz zugelassenen Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist (BGH NJW 1990, 1189; OLG Hamm NZV 2010, 215; OLG Stuttgart zfs 2010, 48; Thüringer OLG zfs 2010, 230; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 21.2.2010 – 3 Ss (B) 117/2010 (165/10); OLG Koblenz NZV 2011, 621; OLG Koblenz zfs 2014, 530).
I. Die in Bußgeldsachen häufigsten Beweismittel
1. Zeugen
Rz. 9
Auch im Bußgeldverfahren gilt unbeschadet der Tatsache, dass hier der Umfang der Beweisaufnahme im Ermessen des Gerichts steht, der Vorrang des Personalbeweises (OLG Köln StV 2001, 342; OLG Naumburg DAR 2004, 109; Thüringer OLG NZV 2006, 493). Zeugenaussagen können deshalb – wenn nicht einer der Ausnahmegründe des § 251 StPO oder die Voraussetzungen des § 77a OWiG vorliegen – grundsätzlich nicht durch Verlesung der Urkunde ersetzt werden. Deshalb verstößt z.B. die Verwertung eines in der Hauptverhandlung verlesenen Ermittlungsberichts gegen § 250 StPO (BayObLG NZV 2000, 48; OLG Thüringen NZV 2006, 493). Der Zeuge muss grundsätzlich persönlich in der Hauptverhandlung vernommen werden, seine Vernehmung kann nicht durch Schriftstücke, Aktenvermerke oder eine im Ermittlungsverfahren bereits gemachte Aussage ersetzt werden; dies auch dann nicht, wenn er bestätigt, dass seine damaligen Angaben korrekt erfolgt sind (OLG Naumburg DAR 2004, 109).
Verwertbar ist nur das, an das sich der Zeuge, ggf. nach Vorhalt seiner früheren Angaben, noch erinnert (zu Zeugenaussagen allgemein siehe § 19 Rdn 1 ff.).
2. Sachverständige
Rz. 10
Zwar kann davon ausgegangen werden, dass ein erfahrener Verkehrsrichter in der Lage ist, einfache technische Fragen selbst zu beantworten (BGH NStZ 2000, 156), soweit es allerdings gesichertes empirisches Wissen, insbesondere zu schwierigen Fragen eines Fachgebiets, gibt, darf ein Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht abgelehnt werden (BGH StV 1994, 634; OLG Frankfurt DAR 95, 414), insbesondere dann nicht, wenn mit dem Beweisantrag substantiierte Einwendungen gegen die Messung vorgetragen werden (OLG Celle NZV 2009, 575; OLG Celle NZV 2010, 414).
Zwar kann der Antrag auf Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens bereits nach § 244 Abs. 4 S. 2 StPO abgelehnt werden, dennoch muss sich das Gericht mit einem von der Verteidigung vorgelegten Sachverständigengutachten befassen und im Urteil entweder dessen Inhalt mitteilen oder sich in anderer Form inhaltlich damit auseinandersetzen, anderenfalls ist das Urteil materiell-rechtlich fehlerhaft (OLG Jena DAR 2013, 161).
Da der Sachverständige lediglich Gehilfe des Gerichts ist und sich das Gericht ein Urteil nur aufgrund eigener Überzeugung bilden darf, muss es im Urteil die für seine Entscheidung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen sowie die von ihm daraus gezogenen Schlüsse mitteilen (BGH StraFo 2000, 90; OLG Koblenz DAR 2006, 101; OLG Bamberg DAR 2018, 93).
3. Urkunden allgemein
Rz. 11
Neben Zeugenaussagen sind Urkunden das im Verkehrsprozess am häufigsten verwandte Beweismittel. Sie sind in der von §§ 249 ff. StPO, §§ 74 Abs. 1, 77a oder 78 OWiG vorgesehenen Form in die Hauptverhandlung einzuführen. Dass und wie dies geschehen ist, gehört zu den in das Protokoll aufzunehmenden Förmlichkeiten (OLG Koblenz zfs 2014, 176; KG zfs 2018, 650).
Die in diesem Zusammenhang häufig anzutreffende Formulierung "ausweislich des Sitzungsprotokolls wurde die Urkunde zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht" ...